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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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Sterba hat vorges<strong>ch</strong>lagen, aus diesem Dilemma die Flu<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> vorn anzutreten,<br />

indem man die Unvereinbarkeit und Unverglei<strong>ch</strong>barkeit <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Ideale ignoriert,<br />

um die Gemeinsamkeit bei den aus ihnen resultierenden Handlungsgeboten zu<br />

su<strong>ch</strong>en 336 . So könnten das Re<strong>ch</strong>t auf ein wohlfahrtsstaatli<strong>ch</strong> zu si<strong>ch</strong>erndes Existenzminimum<br />

und das Gebot <strong>der</strong> Chancenglei<strong>ch</strong>heit ungea<strong>ch</strong>tet des jeweiligen politis<strong>ch</strong>en<br />

Ideals verteidigt werden 337 . In <strong>der</strong> Konkretisierung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgeboten<br />

jenseits <strong>der</strong> Ideale könnte also eine Vereinbarkeit vers<strong>ch</strong>iedener Ansätze und zumindest<br />

insoweit eine Verglei<strong>ch</strong>barkeit gesu<strong>ch</strong>t werden.<br />

Dem ist entgegenzuhalten, daß we<strong>der</strong> die politis<strong>ch</strong>e Inkommensurabilitätsthese<br />

als Problembes<strong>ch</strong>reibung no<strong>ch</strong> die Vorgehensweise, die Sterba zur Problemlösung<br />

vorges<strong>ch</strong>lagen hat, Zustimmung verdient. Als Problembes<strong>ch</strong>reibung trifft die politis<strong>ch</strong>e<br />

Inkommensurabilitätsthese ni<strong>ch</strong>t zu, weil politis<strong>ch</strong>e Ideale ni<strong>ch</strong>t den Ausgangspunkt<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien bilden, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong>en Ergebnis. Ob das Freiheitsideal<br />

<strong>der</strong> libertären Individualistin o<strong>der</strong> das Glei<strong>ch</strong>heitsideal <strong>der</strong> Sozialistin die ri<strong>ch</strong>tige<br />

Zielvorstellung für eine gere<strong>ch</strong>te Sozialordnung abgeben, o<strong>der</strong> ob viellei<strong>ch</strong>t beide<br />

Ideale anteilig zur Formulierung politis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> beitragen, muß in einer<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie erst no<strong>ch</strong> begründet werden. Bezügli<strong>ch</strong> dieses Begründungsauftrags<br />

stehen die Individualistin und die Sozialistin sehr wohl im selben Anfangspunkt<br />

<strong>der</strong> Ungewißheit; s<strong>ch</strong>on deshalb bleiben ihre Entwürfe für eine gere<strong>ch</strong>te Ordnung<br />

bei aller Diskrepanz zumindest verglei<strong>ch</strong>bar – die politis<strong>ch</strong>e Inkommensurabilitätsthese<br />

ist fals<strong>ch</strong>. Darüber hinaus ist <strong>der</strong> Lösungsvors<strong>ch</strong>lag, den Sterba für das<br />

vermeintli<strong>ch</strong>e Verglei<strong>ch</strong>barkeitsproblem ma<strong>ch</strong>t, zur Bewältigung <strong>der</strong> Theorieunters<strong>ch</strong>iede<br />

ungeeignet, wenn man neben <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugung au<strong>ch</strong> die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung<br />

ins Auge faßt. Dann genügt es ni<strong>ch</strong>t, auf die Praktikabilität des<br />

Ergebnisses zu s<strong>ch</strong>auen, son<strong>der</strong>n es müssen die Gründe angegeben werden, die die<br />

Handlungsgebote in den einzelnen Normensystemen (Liberalismus, Sozialismus)<br />

tragen. Erst eine positive Konzeption praktis<strong>ch</strong>er Vernunft enthält die Gründe des<br />

Handelns und damit die Grundsätze zur Lösung aller neu auftretenden <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen<br />

338 .<br />

Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß die Inkommensurabilität von<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien, soweit sie mit unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en politis<strong>ch</strong>en Idealen begründet<br />

wird (politis<strong>ch</strong>e Inkommensurabilitätsthese), ein S<strong>ch</strong>einproblem darstellt: <strong>Theorien</strong><br />

bleiben verglei<strong>ch</strong>bar, selbst wenn si<strong>ch</strong> die Befürworter vers<strong>ch</strong>iedener politis<strong>ch</strong>er<br />

Ideale unversöhnli<strong>ch</strong> zeigen.<br />

336 So die Strategie von Sterba, die dieser als 'practical reconciliationist argument' bezei<strong>ch</strong>net;<br />

J.P. Sterba, How to Make People Just (1988), S. 185. Sterba stellt die folgende These auf: »I content<br />

... that reconciliation is possible, at least at the practical level. ... liberty, equality, contractual fairness,<br />

androgyny, or the common good as the ultimate political ideal, ... when correctly interpreted,<br />

support the same practical requirements«; ebd., S. 85, ähnli<strong>ch</strong> S. 177; Begründung <strong>der</strong> Strategie<br />

S. vii, 85 ff.; Neuformulierung in <strong>der</strong>s., Reconciling Conceptions of Justice (1995), S. 2 ff.<br />

m.w.N.<br />

337 J.P. Sterba, Reconciling Conceptions of Justice (1995), S. 2.<br />

338 Vgl. oben S. 27 ff. (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und praktis<strong>ch</strong>e Vernunft).<br />

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