Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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ist, diese Politik si<strong>ch</strong> aber gerade an Interessendur<strong>ch</strong>setzung statt an moralis<strong>ch</strong>er<br />
Ri<strong>ch</strong>tigkeit orientiert und so dem Medium 'Re<strong>ch</strong>t' die Legitimation entzieht 557 . Legitimation<br />
dur<strong>ch</strong> Legalität sei ein Paradoxon, das ni<strong>ch</strong>t gelöst werden könne, außer<br />
wenn bestimmte Re<strong>ch</strong>te, d.h. sol<strong>ch</strong>e, die die politis<strong>ch</strong>e Autonomie <strong>der</strong> Bürger s<strong>ch</strong>ützen,<br />
als (prozedurale) Generatoren von Legitimation angesehen würden 558 . Um das<br />
Paradoxon zu überwinden, überträgt Habermas sein Diskursprinzip auf die Form des<br />
Re<strong>ch</strong>ts. Er will dur<strong>ch</strong> ein Zusammenwirken von Diskursprinzip und Re<strong>ch</strong>tsform das<br />
Prinzip <strong>der</strong> Demokratie begründen 559 , das selbst wie<strong>der</strong>um re<strong>ch</strong>tserzeugend wirkt –<br />
ein zirkulärer Prozess für die Begründung von Re<strong>ch</strong>t 560 o<strong>der</strong>, in Habermas Worten: ein<br />
»selbstbezügli<strong>ch</strong>er Akt <strong>der</strong> re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Institutionalisierung staatsbürgerli<strong>ch</strong>er Autonomie«<br />
561 . Das Diskursprinzip formuliert Habermas deshalb offen für re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e wie<br />
moralis<strong>ch</strong>e Gültigkeit von Normen:<br />
D H :<br />
»Gültig sind genau die Handlungsnormen, denen alle<br />
mögli<strong>ch</strong>erweise Betroffenen als Teilnehmer an rationalen<br />
Diskursen zustimmen könnten.« 562<br />
557 Vgl. J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 528: »Als zentrales Problem gilt jene Instrumentalisierung<br />
des Re<strong>ch</strong>ts für Zwecke <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Steuerung, die die Struktur des Re<strong>ch</strong>tsmediums<br />
überfor<strong>der</strong>t und die Bindung <strong>der</strong> Politik an die Verwirkli<strong>ch</strong>ung unverfügbarer Re<strong>ch</strong>te auflöst.«<br />
558 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 110 f. Habermas verbindet dies mit <strong>der</strong> Idee des<br />
Selbstregierens, wenn je<strong>der</strong> Adressat des Re<strong>ch</strong>ts glei<strong>ch</strong>zeitig au<strong>ch</strong> Autor des Re<strong>ch</strong>ts sein kann;<br />
ebd., S. 153.<br />
559 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 154.<br />
560 'Zirkulär' ist hier ni<strong>ch</strong>t im Sinne eines logis<strong>ch</strong>en Zirkels, also einer petitio prinzipii, son<strong>der</strong>n im Sinne<br />
eines hermeneutis<strong>ch</strong>en Zirkels gemeint. Es bewegt si<strong>ch</strong> in ihm ni<strong>ch</strong>t beliebige Erkenntnis im<br />
Kreis, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Zirkel drückt eine existentiale Vorstruktur des Daseins aus; vgl. M. Heidegger,<br />
Sein und Zeit (1927), S. 152: »Strukturen des Daseins, die mit dem In-<strong>der</strong>-Welt-sein glei<strong>ch</strong> ursprüngli<strong>ch</strong><br />
sind: das Mitsein und das Mitdasein« (Hervorhebungen bei Heidegger). So erklärt si<strong>ch</strong>,<br />
daß Habermas von einer 'glei<strong>ch</strong>ursprüngli<strong>ch</strong>en' Begründung des Re<strong>ch</strong>ts und <strong>der</strong> Methode seiner<br />
Erzeugung spre<strong>ch</strong>en kann, ohne eine petitio prinzipii zu konstruieren. Vgl. J. Habermas, Faktizität<br />
und Geltung (1992), S. 154 f.: »Die logis<strong>ch</strong>e Genese dieser Re<strong>ch</strong>te bildet einen Kreisprozeß, in dem<br />
si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Kode des Re<strong>ch</strong>ts und <strong>der</strong> Me<strong>ch</strong>anismus für die Erzeugung des Re<strong>ch</strong>ts, also das Demokratieprinzip,<br />
glei<strong>ch</strong>ursprüngli<strong>ch</strong> konstituieren.« Indem er si<strong>ch</strong> auf die Vorstruktur des Verstehens<br />
bei Heidegger bezieht, rekonstruiert Habermas mit seinem 'Kreisprozeß' ledigli<strong>ch</strong> einen Son<strong>der</strong>fall<br />
des hermeneutis<strong>ch</strong>en Zirkels, freili<strong>ch</strong> ohne si<strong>ch</strong> insoweit auf die maßgebli<strong>ch</strong>en Passagen bei Gadamer<br />
zu berufen, die Heideggers Ansatz erst methodis<strong>ch</strong> fru<strong>ch</strong>tbar gema<strong>ch</strong>t haben; vgl. dazu<br />
H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode (1960), S. 250 ff. – ausdrückli<strong>ch</strong>e Bezugnahme auf Heidegger,<br />
insbeson<strong>der</strong>e S. 277: »Der Zirkel des Verstehens ist also überhaupt ni<strong>ch</strong>t ein 'methodis<strong>ch</strong>er'<br />
Zirkel, son<strong>der</strong>n bes<strong>ch</strong>reibt ein ontologis<strong>ch</strong>es Strukturmoment des Verstehens.« Zu grundlegenden<br />
Unters<strong>ch</strong>ieden zwis<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> Epistemologie Habermas' und <strong>der</strong>jenigen Gadamers vgl. die Auseinan<strong>der</strong>setzung:<br />
H.-G. Gadamer, Rhetorik, Hermeneutik und Ideologiekritik (1967), S. 68 ff. (Aneignung<br />
von Traditionen); J. Habermas, Der Universalitätsanspru<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Hermeneutik (1970), S. 133<br />
ff. (Grenze hermeneutis<strong>ch</strong>en Verstehens); <strong>der</strong>s., Zu Gadamers 'Wahrheit und Methode' (1971),<br />
S. 47 ff. (gegen Rehabilitation von Tradition und Vorurteil); H.-G. Gadamer, Replik (1971), S. 287 ff.<br />
(kritis<strong>ch</strong>e Reflexion dur<strong>ch</strong> philosophis<strong>ch</strong>e Hermeneutik).<br />
561 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 166.<br />
562 J. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 138. Gegenüber <strong>der</strong> früheren Formulierungen von<br />
D H , etwa in J. Habermas, Über Moralität und Sittli<strong>ch</strong>keit (1984), S. 219 (»Jede gültige Norm müßte<br />
die Zustimmung aller Betroffenen, wenn diese nur an einem praktis<strong>ch</strong>en Diskurs teilnehmen<br />
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