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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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) Regeln <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit und Freiheit<br />

Neben diesen Diskursregeln, die allgemeine Gebote <strong>der</strong> Vernunft implementieren,<br />

gelten an<strong>der</strong>e spezifis<strong>ch</strong> für eine diskursive Konzeption praktis<strong>ch</strong>er Vernunft. Hierzu<br />

gehören zunä<strong>ch</strong>st Regeln über die glei<strong>ch</strong>en Diskursfreiheiten und die Informiertheit:<br />

Je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> spre<strong>ch</strong>en kann, darf an Diskursen teilnehmen (Teilnahmefreiheit). Je<strong>der</strong><br />

darf jede Behauptung in den Diskurs einführen (Thematisierungsfreiheit). Je<strong>der</strong> darf<br />

jede Behauptung problematisieren (Kritisierungsfreiheit). Je<strong>der</strong> darf si<strong>ch</strong> über alle<br />

verfügbaren empiris<strong>ch</strong>en Daten unterri<strong>ch</strong>ten (Informationsfreiheit). Niemand darf<br />

dur<strong>ch</strong> innerhalb o<strong>der</strong> außerhalb des Diskurses herrs<strong>ch</strong>enden Zwang daran gehin<strong>der</strong>t<br />

werden, seine Diskursfreiheiten wahrzunehmen (Zwangsfreiheit, insbeson<strong>der</strong>e Herrs<strong>ch</strong>aftsfreiheit).<br />

Die Zwangsfreiheit des Diskurses ist das wohl anspru<strong>ch</strong>svollste ideale Element,<br />

weil es in realen Diskursen nie vollständig verwirkli<strong>ch</strong>t werden kann 478 . Zur<br />

Zwangsfreiheit gehört nämli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die Freiheit von Ents<strong>ch</strong>eidungszwang. Eine sol<strong>ch</strong>e<br />

Freiheit läßt si<strong>ch</strong> aber nur herstellen, wenn <strong>der</strong> Diskurs potentiell unendli<strong>ch</strong> fortzusetzen<br />

ist. Bei realen Ents<strong>ch</strong>eidungen über Fragen des Handelns gibt es dagegen<br />

den Zwang, irgendwann zu einem Ergebnis zu gelangen (z.B.: Budget verabs<strong>ch</strong>ieden,<br />

Korn säen). An<strong>der</strong>nfalls würde das Ni<strong>ch</strong>thandeln selbst ganz unabhängig vom<br />

Diskurs ein Ergebnis faktis<strong>ch</strong> setzen (z.B.: budgetlose Regierung, ertragloser Acker).<br />

Au<strong>ch</strong> die Herrs<strong>ch</strong>aftsfreiheit ist real kaum vollständig zu verwirkli<strong>ch</strong>en. Zwar kann<br />

und muß Gewalt und Drohung im Diskurs verboten werden; ein Arbeitgeber kann<br />

also in einem Diskurs ni<strong>ch</strong>t mit Kündigung drohen. Do<strong>ch</strong> lassen si<strong>ch</strong> Ma<strong>ch</strong>tunters<strong>ch</strong>iede<br />

in <strong>der</strong> Realität nie ganz ausblenden, leben sie do<strong>ch</strong> in typisiertem Rollenverhalten<br />

(arm/rei<strong>ch</strong>, Frau/Mann) fort.<br />

cc) Regeln <strong>der</strong> Argumentationslast<br />

Die Argumentation kann, wenn sie die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Ergebnisses verbürgen soll,<br />

ni<strong>ch</strong>t vollständig in das Belieben <strong>der</strong> Beteiligten gestellt bleiben. Neben den Regeln<br />

über glei<strong>ch</strong>e Diskursfreiheiten muß im Diskurs au<strong>ch</strong> geregelt sein, wer wann ein Argument<br />

anzuführen hat. Zu den Regeln über Argumentationslasten gehört die, daß<br />

je<strong>der</strong> seine Behauptungen auf Verlangen begründen muß, es sei denn, eine Begründungsverweigerung<br />

ist ausnahmsweise gere<strong>ch</strong>tfertigt (Begründungslast). Je<strong>der</strong> muß<br />

auf Verlangen begründen, warum er objekt- und subjektbezogenen Behauptungen<br />

für bestimmte an<strong>der</strong>e Objekte und Subjekte ni<strong>ch</strong>t aufre<strong>ch</strong>terhält (Differenzierungslast).<br />

Wer ein Argument angeführt hat, ist nur bei einem Gegenargument zu weiteren<br />

Argumenten verpfli<strong>ch</strong>tet (Entgegnungslast). Je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> eine Äußerung ma<strong>ch</strong>t,<br />

die ni<strong>ch</strong>t auf den bisherigen Gegenstand und die bisherigen Argumente des Diskurses<br />

bezogen ist, muß auf Verlangen begründen, weshalb er diese Äußerung ma<strong>ch</strong>t<br />

(Thematisierungslast).<br />

können, daß er si<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> Situation dieser Person befindet.« Ebenso R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1991), S. 116.<br />

478 Ausdrückli<strong>ch</strong> K.-O. Apel, Diskursethik vor <strong>der</strong> Problematik von Re<strong>ch</strong>t und Politik (1992), S. 45:<br />

»Genau besehen, kann ni<strong>ch</strong>t einmal ein realer philosophis<strong>ch</strong>er Diskurs völlig herrs<strong>ch</strong>aftsfrei abgewickelt<br />

werden, sofern er als realer Diskurs ja au<strong>ch</strong> niemals völlig handlungs- und zeitentlastet<br />

abgewickelt werden kann.«<br />

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