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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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daß eine Theorie <strong>der</strong>art 'ents<strong>ch</strong>eidungsdefinit' sein soll 147 . Die Aussage selbst ist für<br />

reale Diskurse trivial: Kein reales Verfahren kann je si<strong>ch</strong>erstellen, daß alle Beteiligten<br />

si<strong>ch</strong> in je<strong>der</strong> potentiellen Frage auf ein Ergebnis einigen werden (Konsens). Für ideale<br />

Diskurse ist die Aussage ni<strong>ch</strong>t trivial. Es ist ni<strong>ch</strong>t ents<strong>ch</strong>eidbar, ob es in je<strong>der</strong> Sa<strong>ch</strong>frage<br />

zu einem Konsens kommen müßte o<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t. Denn die idealen Bedingungen,<br />

insbeson<strong>der</strong>e die unbegrenzte Zeit, lassen si<strong>ch</strong> niemals herstellen 148 und si<strong>ch</strong>ere Prognosen<br />

darüber, wie si<strong>ch</strong> reale Personen als Diskursteilnehmer in einem idealen Diskurs<br />

bezügli<strong>ch</strong> aller denkbaren Gegenstände verhalten würden, können ni<strong>ch</strong>t getroffen<br />

werden 149 . Bei <strong>der</strong> Gewi<strong>ch</strong>tung sol<strong>ch</strong>er Kritik muß berücksi<strong>ch</strong>tigt werden, daß<br />

ein Rest an Ungewißheit unauswei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>eint; selbst für Erkenntnisse <strong>der</strong> Naturwissens<strong>ch</strong>aften<br />

kann von endgültiger Gewißheit kein Rede sein 150 . Daß eine Konsensustheorie<br />

<strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit <strong>der</strong>artige Gewißheit ni<strong>ch</strong>t herstellen kann, ist darum<br />

wenig verwun<strong>der</strong>li<strong>ch</strong> und allein no<strong>ch</strong> kein Mangel.<br />

Zur zweiten Kritik: Ähnli<strong>ch</strong> verhält es si<strong>ch</strong> mit dem relativen Ri<strong>ch</strong>tigkeitsbegriff.<br />

Eine Diskurstheorie muß für reale Diskurse mit einem relativen Ri<strong>ch</strong>tigkeitsbegriff<br />

operieren. Das gilt ni<strong>ch</strong>t nur, wenn man auf einen Letztbegründungsanspru<strong>ch</strong> verzi<strong>ch</strong>tet<br />

151 , son<strong>der</strong>n in je<strong>der</strong> Form <strong>der</strong> Diskurstheorie, weil die Bedingungen des idealen<br />

Diskurses in <strong>der</strong> Realität nur unvollständig verwirkli<strong>ch</strong>t werden können 152 . So,<br />

wie <strong>der</strong> ideale Diskurs für reale Diskurse als eine regulative Idee wirkt 153 , so bildet<br />

au<strong>ch</strong> <strong>der</strong> absolute Ri<strong>ch</strong>tigkeitsbegriff eine regulative Idee für den relativen Ri<strong>ch</strong>tigkeitsbegriff<br />

<strong>der</strong> Diskursrealität 154 : Es muß stets na<strong>ch</strong> nur einem, absolut ri<strong>ch</strong>tigen Ergebnis<br />

gesu<strong>ch</strong>t werden, obwohl real nie mehr als relative Ri<strong>ch</strong>tigkeit im Diskurs zu<br />

errei<strong>ch</strong>en ist. Wenn beispielsweise die Beteiligten eines realen Diskurses si<strong>ch</strong> zu einem<br />

Zeitpunkt T1 auf die Ri<strong>ch</strong>tigkeit <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm N einigen, zu einem<br />

späteren Zeitpunkt T2 aber über das genaue Gegenteil, ¬N, einen Konsens erzielen<br />

können, dann ist N 'ri<strong>ch</strong>tig relativ zu T1' und ¬N 'ri<strong>ch</strong>tig relativ zu T2', do<strong>ch</strong> es läßt<br />

si<strong>ch</strong> we<strong>der</strong> für N no<strong>ch</strong> für ¬N je sagen, die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm sei absolut, also zu je<strong>der</strong><br />

Zeit, ri<strong>ch</strong>tig 155 .<br />

Der relative Ri<strong>ch</strong>tigkeitsbegriff ist allein no<strong>ch</strong> kein Mangel <strong>der</strong> Diskurstheorie. Er<br />

stellt si<strong>ch</strong> als Konsequenz aus <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>legbarkeit praktis<strong>ch</strong>er Erkenntnis dar. Es ist<br />

kein Fehler, son<strong>der</strong>n ein Qualitätsmerkmal, wenn eine Theorie definieren kann, unter<br />

147 Vgl. R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1991), S. 416 – Analyse <strong>der</strong> Kritik.<br />

148 Dazu oben S. 218 ff. (D Di ).<br />

149 R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juritis<strong>ch</strong>en Argumentation (1991), S. 412. Zur Mögli<strong>ch</strong>keit, bezügli<strong>ch</strong> einzelner<br />

Gegenstände praktis<strong>ch</strong>er Diskurse eine unmittelbare Begründung (unabhängig von <strong>der</strong> Dur<strong>ch</strong>führung<br />

einzelner Diskurse) vorzunehmen, vgl. unten S. 310 ff. (Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen).<br />

150 Hierzu und zum Wissens<strong>ch</strong>afts<strong>ch</strong>arakter <strong>der</strong> Jurisprudenz R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation<br />

(1978), S. 356.<br />

151 Vgl. oben S. 233 ff. (Letztbegründung bei Apel), S. 261 ff. (Mün<strong>ch</strong>hausen-Trilemma).<br />

152 Dazu oben S. 218 (D Di ).<br />

153 Dazu oben S. 218 (D Dr ).<br />

154 Vgl. R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1991), S. 414 f. – unter Bezugnahme auf das<br />

'regulative Prinzip <strong>der</strong> Vernunft' und den 'regulativen Gebrau<strong>ch</strong> des Verstandes' bei I. Kant, KrV<br />

(1781), A 509 / B 537, A 644 / B 672.<br />

155 Vgl. R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1991), S. 413 f.<br />

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