Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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warum die dialogis<strong>ch</strong>e Konzeption zumindest für <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen vorzugswürdig<br />
ist.<br />
Zu den Eigenheiten je<strong>der</strong> monologis<strong>ch</strong>en Konzeption <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft gehört,<br />
daß sie si<strong>ch</strong> den Prozeß <strong>der</strong> Begründung in einer einzigen Person denkt. Das<br />
beste Beispiel für eine sol<strong>ch</strong>e Konzeption ist die Beoba<strong>ch</strong>tertheorie, wie sie vor allem<br />
von Nagel vertreten wird 137 . Eine Beoba<strong>ch</strong>tertheorie glei<strong>ch</strong>t den dialogis<strong>ch</strong>en <strong>Theorien</strong><br />
darin, daß sie ein gewisses Maß an Unparteili<strong>ch</strong>keit voraussetzt, um von guten<br />
Gründen zu spre<strong>ch</strong>en. An<strong>der</strong>s als bei dialogis<strong>ch</strong>en <strong>Theorien</strong> wird aber behauptet,<br />
daß diese Unparteili<strong>ch</strong>keit von einer einzigen Person si<strong>ch</strong>ergestellt werden kann.<br />
Na<strong>ch</strong> Nagel nimmt <strong>der</strong> über ri<strong>ch</strong>tiges Handeln Na<strong>ch</strong>denkende (moral agent) eine innere<br />
Haltung ein, die in einem angemessenen Maße neben den eigenen Interessen au<strong>ch</strong><br />
die Interessen aller an<strong>der</strong>en zur Geltung kommen läßt. Es ist eine Perspektive wohlabgewogenen<br />
Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>ts zwis<strong>ch</strong>en subjektiven Bedürfnissen und objektiven Erfor<strong>der</strong>nissen.<br />
Der 'moral agent' tritt gewissermaßen aus si<strong>ch</strong> selbst heraus und wird<br />
zum Beoba<strong>ch</strong>ter. Was in dieser selbstentrückten Perspektive des Beoba<strong>ch</strong>tens an<br />
Einsi<strong>ch</strong>t gewonnen werden kann, trägt dann ein Maß an Unparteili<strong>ch</strong>keit in si<strong>ch</strong>, das<br />
es zu einem guten Grund ma<strong>ch</strong>t.<br />
Die Eigenheit dialogis<strong>ch</strong>er Konzeptionen <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft besteht demgegenüber<br />
darin, die Unparteili<strong>ch</strong>keit dur<strong>ch</strong> eine Vielfalt glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigter o<strong>der</strong> glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigt<br />
vertretener Personen si<strong>ch</strong>erzustellen. Wer mehr als eine Person zu Wort<br />
kommen läßt, hat bereits Unparteili<strong>ch</strong>keit errei<strong>ch</strong>t, wenn die Teilnahme <strong>der</strong> einzelnen<br />
Person glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigt und zwangsfrei erfolgt. Die unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Interessen<br />
werden ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> individuelle Entrückung, son<strong>der</strong>n dur<strong>ch</strong> individuelle Repräsentation<br />
geltend gema<strong>ch</strong>t. Diese Repräsentation kann dabei je na<strong>ch</strong> dialogis<strong>ch</strong>er<br />
Konzeption sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> ausfallen. Eine Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie wie die von<br />
Gauthier wird die einzelnen Personen immer im Vollbesitz all ihrer tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Fähigkeiten,<br />
Kenntnisse und Unters<strong>ch</strong>iede sehen, eine Theorie wie die von Rawls hingegen<br />
wird dur<strong>ch</strong> einen S<strong>ch</strong>leier des Ni<strong>ch</strong>twissens zusätzli<strong>ch</strong>e Unparteili<strong>ch</strong>keit au<strong>ch</strong><br />
innerhalb <strong>der</strong> einzelnen Person erzeugen und eine Argumentationstheorie s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong><br />
wird weitergehende Anfor<strong>der</strong>ungen an gute Gründe stellen, die über die Vertretung<br />
von Einzelinteressen hinausgehen. Gemeinsam ist allen dialogis<strong>ch</strong>en Konzeptionen<br />
nur, daß sie darauf verzi<strong>ch</strong>ten können, den Einen zu innerer Distanz zu zwingen, indem<br />
sie ihm einen An<strong>der</strong>en gegenüberstellen, so daß si<strong>ch</strong> im Zusammenwirken bei<strong>der</strong><br />
die Unparteili<strong>ch</strong>keit ergibt. Während monologis<strong>ch</strong>e Konzeptionen praktis<strong>ch</strong>er<br />
Vernunft also einen Binnenpluralismus voraussetzen, beruhen dialogis<strong>ch</strong>e Konzeptionen<br />
auf einem Außenpluralismus <strong>der</strong> geltend gema<strong>ch</strong>ten Gründe.<br />
Warum ist nun eine dialogis<strong>ch</strong>e Konzeption praktis<strong>ch</strong>er Vernunft – zumindest<br />
für den hier interessierenden Anwendungsberei<strong>ch</strong> – vorzugswürdig? Es geht hier<br />
darum, bestimmte Gründe als gute Gründe zu identifizieren, also als sol<strong>ch</strong>e, die<br />
Wahrheit o<strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit belegen können. In den betra<strong>ch</strong>teten <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en<br />
Vernunft geht es allein um Ri<strong>ch</strong>tigkeit. Es kann darum dahingestellt bleiben,<br />
ob si<strong>ch</strong> monologis<strong>ch</strong>e Konzeptionen im Berei<strong>ch</strong> des Beweisens (Wahrheit) glei<strong>ch</strong> gut<br />
bewähren wie dialogis<strong>ch</strong>e Konzeptionen. Es genügt s<strong>ch</strong>on zu zeigen, daß sie bei<br />
praktis<strong>ch</strong>en Fragen, also beim 'ni<strong>ch</strong>tbeweisenden' Begründen von Handlungsnor-<br />
137 Dazu oben S. 212 ff. (Theorie des unparteiis<strong>ch</strong>en Beoba<strong>ch</strong>ters).<br />
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