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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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Im hier interessierenden Zusammenhang <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie geht es zentral<br />

um das vierte Element, die Eigennutzorientierung 194 . Zwar spielen au<strong>ch</strong> Methodenindividualismus,<br />

Präferenzisolation und Mögli<strong>ch</strong>keitsraum eine mittelbare Rolle<br />

in ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien, weil sie si<strong>ch</strong> gewissermaßen<br />

dur<strong>ch</strong> die Hintertür des Rationalitätskalküls eins<strong>ch</strong>lei<strong>ch</strong>en. Do<strong>ch</strong> geht es im Kern allein<br />

um rational <strong>ch</strong>oice theories als Begründungstheorien des rationalen Verhaltens, ni<strong>ch</strong>t<br />

dagegen um die (no<strong>ch</strong> stärker divergierenden) rational <strong>ch</strong>oice theories, die als Anwendungstheorien<br />

in <strong>der</strong> Ökonomie Verwendung finden. Die Verknüpfung zwis<strong>ch</strong>en<br />

Grundlagenfors<strong>ch</strong>ung und ökonomis<strong>ch</strong>er Anwendungstheorie ist naturgemäß eng,<br />

do<strong>ch</strong> läßt si<strong>ch</strong> die Unters<strong>ch</strong>eidung trenns<strong>ch</strong>arf dana<strong>ch</strong> vornehmen, ob eine Theorie<br />

si<strong>ch</strong> die Rahmenbedingungen <strong>der</strong> Wirts<strong>ch</strong>aft, insbeson<strong>der</strong>e die Marktwirkungen, zur<br />

Voraussetzung ma<strong>ch</strong>t (ökonomis<strong>ch</strong>e Anwendungstheorie) o<strong>der</strong> ob sie die Analyse<br />

<strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidungsstrategien unter grundsätzli<strong>ch</strong> beliebigen Voraussetzungen betreibt<br />

(Begründungstheorie <strong>der</strong> rationalen Ents<strong>ch</strong>eidung).<br />

Das Eigennutz-Axiom, wie es für die Konzeption <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft in allen<br />

Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien gilt, läßt si<strong>ch</strong> in folgendem Theorem ausdrücken:<br />

T RC :<br />

Die Handlung X einer Person P ist genau dann ri<strong>ch</strong>tig,<br />

wenn sie si<strong>ch</strong> bei Abwägung aller Vor- und Na<strong>ch</strong>teile für<br />

P als die vorteilhafteste darstellt.<br />

Der Ri<strong>ch</strong>tigkeitsbegriff, <strong>der</strong> mit T RC definiert ist, bes<strong>ch</strong>reibt nur eine Ri<strong>ch</strong>tigkeit aus<br />

Si<strong>ch</strong>t des egoistis<strong>ch</strong>en Nutzenmaximierers. Das bedeutet mehr als nur einen irgendwie<br />

gearteten Rückgriff auf ein Vorteilskalkül. Rawls hat gezeigt, daß man auf<br />

Erkenntnisse <strong>der</strong> Spieltheorie 195 zurückgreifen kann, ohne das Vorteilskalkül als<br />

ents<strong>ch</strong>eidend für überindividuelle Ri<strong>ch</strong>tigkeit anzusehen 196 . Die <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> hobbesianis<strong>ch</strong>en<br />

Grundposition gehen indes von einem Glei<strong>ch</strong>klang zwis<strong>ch</strong>en egostis<strong>ch</strong>er Nutzenmaximierung<br />

und überindividueller Ri<strong>ch</strong>tigkeit aus. Begründbar sind dana<strong>ch</strong><br />

auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e Handlungsweisen, die si<strong>ch</strong> als Ausdruck individueller Nutzenmaximierung<br />

verstehen lassen. Das Darstellungsmittel für diese Verknüpfung ist<br />

<strong>der</strong> Sozialvertrag: Mit dem Übergang von <strong>der</strong> Begründung individueller Einzelents<strong>ch</strong>eidungen<br />

zur Begründung <strong>der</strong> Regeln sozialer Ordnung wird die Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie<br />

zur hobbesianis<strong>ch</strong>en Sozialvertragstheorie 197 . Dabei überwindet sie bestimmte<br />

Defizite <strong>der</strong> individuenbezogenen Legitimation, wie sie si<strong>ch</strong> im Gefangenendilemma<br />

und Trittbrettfahrerproblem ausdrücken 198 , dur<strong>ch</strong> einen unter allen erzwingbaren<br />

Gesells<strong>ch</strong>aftsvertrag – es entsteht eine 'Vertragstheorie rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens'<br />

194 G. Kir<strong>ch</strong>gässner, Homo oeconomicus (1991), S. 45 ff. – eigener Vorteil als Charakteristikum.<br />

195 Dazu unten S. 270 ff. (spieltheoretis<strong>ch</strong>e Grundlegung).<br />

196 Dazu unten S. 180 (Theorie <strong>der</strong> Maximin-Wahl). Einen ähnli<strong>ch</strong>en Zusammenhang hat Barry am<br />

Beispiel <strong>der</strong> Theorie Harsanyis belegt, <strong>der</strong> einerseits Verfe<strong>ch</strong>ter einer Vernunftkonzeption <strong>der</strong> rationalen<br />

Ents<strong>ch</strong>eidung ist, an<strong>der</strong>erseits dieser Konzeption aber keine Verbindli<strong>ch</strong>keit als ethis<strong>ch</strong>es<br />

Kriterium zuerkennt, son<strong>der</strong>n eine utilitaristis<strong>ch</strong>e Position daraus begründet; B. Barry, Theories of<br />

Justice (1989), S. 76 m.w.N. Dazu oben S. 154 ff. (utilitaristis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> am Beispiel Harsanyis),<br />

unten S. 174 (Harsanyis Theorie <strong>der</strong> Verhandlungsführung).<br />

197 Dazu unten S. 180 ff. (neohobbesianis<strong>ch</strong>er Sozialvertrag).<br />

198 Dazu unten S. 276 ff. (Gefangenendilemma), S. 333 ff. (Trittbrettfahrerproblem).<br />

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