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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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diesen Umstände gehört, daß erstens Mens<strong>ch</strong>en zusammen leben, si<strong>ch</strong> ungefähr glei<strong>ch</strong>en,<br />

ni<strong>ch</strong>t alle Interessen gemeinsam haben, über begrenzte psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e, emotionale<br />

und intellektuelle Kapazitäten verfügen, vor allem über begrenzte Großzügigkeit<br />

(limited generosity), und deshalb konfligierende Ansprü<strong>ch</strong>e geltend ma<strong>ch</strong>en,<br />

sowie zweitens bezügli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> verfügbaren Güter mo<strong>der</strong>ate Knappheit besteht (mo<strong>der</strong>ate<br />

scarcity).<br />

Daß die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bei Hume gar ni<strong>ch</strong>t als eine 'natürli<strong>ch</strong>e' Tugend, son<strong>der</strong>n als<br />

eine künstli<strong>ch</strong>e gilt, sei hier dahingestellt 193 . Wi<strong>ch</strong>tig ist allein, ob Humes These etwas<br />

am Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> än<strong>der</strong>t (D 1 ) o<strong>der</strong> die S<strong>ch</strong>werpunktthese zur politis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ers<strong>ch</strong>üttern kann (vgl. D 1P ). Beides ist ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Fall. Der <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff<br />

berücksi<strong>ch</strong>tig Humes 'Umstände' bereits im Definitionselement <strong>der</strong><br />

'Pfli<strong>ch</strong>tigkeit'. Wenn Güter im Überfluß bestehen, dann tendiert die Pfli<strong>ch</strong>t, auf an<strong>der</strong>e<br />

bei <strong>der</strong> Güterverteilung Rücksi<strong>ch</strong>t zu nehmen, gegen Null. Wenn lebensbedrohli<strong>ch</strong>e<br />

Knappheit eintritt, dann ist eine Pfli<strong>ch</strong>t zur Rücksi<strong>ch</strong>tnahme ni<strong>ch</strong>t länger<br />

zumutbar. Wo keine Pfli<strong>ch</strong>ten begründbar sind, kann von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr<br />

gespro<strong>ch</strong>en werden. Darin bestätigt si<strong>ch</strong> die These Humes. Deshalb wird die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>,<br />

beson<strong>der</strong>s die politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, aber ni<strong>ch</strong>t bedeutungslos. Die conditio<br />

humana liegt ja gerade zwis<strong>ch</strong>en dem paradiesis<strong>ch</strong>en Zustand des Gartens Eden und<br />

<strong>der</strong> lebensgefährli<strong>ch</strong>en Notlage eines S<strong>ch</strong>iffbru<strong>ch</strong>s. In aller Regel finden wir, irgendwo<br />

zwis<strong>ch</strong>en Überfluß und Lebensnot, den Zustand mo<strong>der</strong>ater Knappheit vor,<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen in <strong>der</strong> staatli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tsordnung wi<strong>ch</strong>tig werden läßt.<br />

Humes These von den Umständen <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> muß deshalb als Bestätigung <strong>der</strong><br />

S<strong>ch</strong>werpunktthese gesehen werden, ni<strong>ch</strong>t als ihre Infragestellung.<br />

II.<br />

Zur Klassifizierung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

Unter dem Oberbegriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien finden si<strong>ch</strong> Entwürfe vereinigt,<br />

die in vers<strong>ch</strong>iedenen Disziplinen, zu unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Zeiten und in voneinan<strong>der</strong><br />

dur<strong>ch</strong> Spra<strong>ch</strong>- und Traditionsbarrieren getrennten Fors<strong>ch</strong>ungszyklen entstanden<br />

sind. So sind in <strong>der</strong> Gattung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien beispielsweise europäis<strong>ch</strong><br />

dominierte Diskurstheorien mit angloamerikanis<strong>ch</strong> geprägten Ents<strong>ch</strong>eidungs- und<br />

neueren Sozialvertragstheorien vereinigt, obwohl diese Denktraditionen und Theoriegattungen<br />

abgesehen von <strong>der</strong> Aufgabenstellung wenig verbindet. Daraus ergibt<br />

si<strong>ch</strong> eine Klassifizierungsaufgabe als Grundlage je<strong>der</strong> verglei<strong>ch</strong>enden Theorieanalyse.<br />

Die Bedeutung einer Klassifizierung von <strong>Theorien</strong> folgt in erster Linie aus ihrer<br />

Definitionswirkung, d.h. aus dem Umstand, daß eine Klassifizierung <strong>Theorien</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

nur irgendwie gruppiert, son<strong>der</strong>n dabei glei<strong>ch</strong>zeitig festlegt, was als relevantes Kriterium<br />

<strong>der</strong> Unters<strong>ch</strong>eidung herangezogen werden soll. Will man den methodis<strong>ch</strong>en<br />

Fehler vermeiden, Inkommensurables zu verglei<strong>ch</strong>en, und an<strong>der</strong>erseits die in <strong>der</strong><br />

gegenwärtigen Literatur beklagenswerte Zersplitterung ni<strong>ch</strong>t weiter vertiefen, die<br />

193 D. Hume, A Treatise of Human Nature, Bd. III: Of Morals (1740), Teil II: Of Justice and Injustice,<br />

Abs<strong>ch</strong>nitt I: Justice, whether a natural or artificial virtue? Vgl. dazu etwa H. Pauer-Stu<strong>der</strong>, Das An<strong>der</strong>e<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1996), S. 201 ff. (205) – natürli<strong>ch</strong>e Tugenden bedürfen ni<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Übereinkunft,<br />

um dem allgemeinen Wohlergehen för<strong>der</strong>li<strong>ch</strong> zu sein.<br />

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