Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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a) Anerkennung persönli<strong>ch</strong>er Integrität (S<strong>ch</strong>utzvereinigungen)<br />
Der erste Begründungss<strong>ch</strong>ritt beginnt mit <strong>der</strong> Hypothese, daß Mens<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> im Naturzustand<br />
zu einfa<strong>ch</strong>en Gemeins<strong>ch</strong>aften zum S<strong>ch</strong>utz ihrer Re<strong>ch</strong>te vor Verletzungen<br />
dur<strong>ch</strong> Dritte zusammens<strong>ch</strong>ließen würden 269 . Diese S<strong>ch</strong>utzvereinigungen können nur<br />
dann einigermaßen effektiv funktionieren, wenn ihre Mitglie<strong>der</strong> auf Privatvergeltung<br />
verzi<strong>ch</strong>ten und au<strong>ch</strong> untereinan<strong>der</strong> keine Selbstjustiz üben 270 . Unter mehreren<br />
S<strong>ch</strong>utzgemeins<strong>ch</strong>aften innerhalb eines geographis<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong>s wird si<strong>ch</strong> eine vorherrs<strong>ch</strong>ende<br />
S<strong>ch</strong>utzgemeins<strong>ch</strong>aft herausbilden, <strong>der</strong> zum Territorialstaat allerdings no<strong>ch</strong><br />
das territoriale Gewaltmonopol fehlt, weil die Mitglieds<strong>ch</strong>aft freiwillig bleibt und jede<br />
S<strong>ch</strong>utzleistung von Gegenleistungen des Mitglieds abhängt 271 . Gegenüber Außenseitern<br />
entwickelt si<strong>ch</strong> aber ein faktis<strong>ch</strong>es Gewaltmonopol dadur<strong>ch</strong>, daß die S<strong>ch</strong>utzvereinigung<br />
abwei<strong>ch</strong>endes Verhalten im Interesse eines umfassenden S<strong>ch</strong>utzes für<br />
ihre Mitglie<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t zulassen kann 272 . Wegen des allgemeinen Ents<strong>ch</strong>ädigungsgrundsatzes<br />
bei Re<strong>ch</strong>tsbeeinträ<strong>ch</strong>tigung muß sie darum im Gegenzug den Außenseitern unabhängig<br />
von ihrer Mitglieds<strong>ch</strong>aft au<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>utz gewähren, um als Institution weiterhin<br />
moralis<strong>ch</strong> gere<strong>ch</strong>tfertigt (d.h. au<strong>ch</strong>: 'gere<strong>ch</strong>t') zu sein 273 . Damit entsteht <strong>der</strong> legitime<br />
Ultraminimalstaat 274 . Er wird zum Minimalstaat, indem aus entspre<strong>ch</strong>enden Erwägungen<br />
au<strong>ch</strong> die ni<strong>ch</strong>t Beitragsfähigen (z.B. Kleinkin<strong>der</strong>, bestimmte Behin<strong>der</strong>te,<br />
mittellose Alte) als Mitglie<strong>der</strong> aufgenommen und in den S<strong>ch</strong>utz einbezogen werden,<br />
wodur<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>zeitig eine dur<strong>ch</strong> das gemeinsame S<strong>ch</strong>utzinteresse begrenzte minimale<br />
Umverteilung stattfindet 275 .<br />
b) Anerkennung <strong>der</strong> Güterzuordnung (Anspru<strong>ch</strong>stheorie)<br />
Der zweite Begründungss<strong>ch</strong>ritt knüpft an eine historis<strong>ch</strong>e Vorstellung legitimen<br />
Erwerbs an 276 . Mit Ausnahme <strong>der</strong> erwähnten minimalen Umverteilung im Rahmen<br />
des für umfassenden Re<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz Notwendigen gibt es keine legitime Umverteilung<br />
von Besitz. Na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> von Nozick so bezei<strong>ch</strong>neten Anspru<strong>ch</strong>stheorie (entitlement theory) ist<br />
<strong>der</strong> Besitz eines Mens<strong>ch</strong>en genau dann gere<strong>ch</strong>t, wenn für ihn na<strong>ch</strong> den drei Grundsät-<br />
269 R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 12: »How might one deal with these troubles<br />
within a state of nature? ... Groups of individuals may form mutual-protection associations«.<br />
270 R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 15: »The agency need only refuse a client C, who<br />
privately enfoces his rights against other clients, any protection against counterretaliation upon<br />
him by these other clients. ... This reduces intra-agency private enforcement of rights to minuscule<br />
levels.«<br />
271 R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 22 ff.<br />
272 R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 108 ff. (de facto monopoly), sowie bereits S. 101: »[A]<br />
dominant protective association ... may announce, and act on the announcement, that it will punish<br />
anyone who uses on one of its clients a procedure that it finds to be unreliable or unfair.«<br />
273 R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 112: »Thus the dominant protective agency must<br />
supply the independents ... with protective services against its clients«.<br />
274 R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 113: »The protective agency dominant in a territory<br />
does satisfy the two crucial necessary conditions for being a state.«<br />
275 So bereits die Ansätze zur Re<strong>ch</strong>tfertigung einer minimalen Umverteilung bei R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y,<br />
State, and Utopia (1974), S. 26 ff. (minimal vs. ultraminimal state).<br />
276 R. Nozick, Anar<strong>ch</strong>y, State, and Utopia (1974), S. 153 ff. (155): »The entitlement principles of justice<br />
in holdings that we have sket<strong>ch</strong>ed are historical principles of justice.«<br />
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