Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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ve Kontrolle des Handelns ist ein Akt öffentli<strong>ch</strong>er Autonomie. Diskurstheoretis<strong>ch</strong><br />
notwendige Gehalte des allgemeinen Freiheitsre<strong>ch</strong>ts R F sind deshalb jedenfalls diejenigen<br />
Einzelre<strong>ch</strong>te, die si<strong>ch</strong> Mens<strong>ch</strong>en gegenseitig einräumen müssen, wenn sie die<br />
Regelungen ihres Zusammenlebens einer fortlaufenden diskursiven Kontrolle aussetzen<br />
wollen 229 . Dazu gehört die Meinungsäußerungsfreiheit in öffentli<strong>ch</strong>en Angelegenheiten<br />
(political spee<strong>ch</strong>) sowie ein Mindestmaß an den mit <strong>der</strong> individuellen und<br />
kollektiven Wahrnehmung dieser Freiheit verbundenen weiteren Kommunikationsgrundre<strong>ch</strong>ten<br />
(Informations-, Presse-, Rundfunk-, Versammlungs-, Vereinigungsfreiheit).<br />
Insoweit läßt si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Inhalt von R F tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ohne die Dur<strong>ch</strong>führung<br />
konkreter Diskurse ('unmittelbar') bestimmen. Au<strong>ch</strong> ein Grundre<strong>ch</strong>t auf Leben und<br />
körperli<strong>ch</strong>e Integrität und einige an<strong>der</strong>e Einzelaspekte <strong>der</strong> privaten Autonomie sowie<br />
das Re<strong>ch</strong>t auf ein Existenzminimum an Gütern können so begründet werden.<br />
Damit endet die Bestimmbarkeit aber. We<strong>der</strong> die genaue Abgrenzung zwis<strong>ch</strong>en<br />
den als Prinzipien zu verstehenden Grundre<strong>ch</strong>ten, no<strong>ch</strong> <strong>der</strong> konkrete Bestand an<br />
Re<strong>ch</strong>ten lassen si<strong>ch</strong> aus R F unmittelbar bestimmen. Ob etwa Privateigentum und<br />
Erbre<strong>ch</strong>t gewährleistet sein müssen, ob staatli<strong>ch</strong>er S<strong>ch</strong>utz dur<strong>ch</strong> Enteignung verfolgt<br />
werden darf, wel<strong>ch</strong>e kollektiven Pfli<strong>ch</strong>ten den Grundre<strong>ch</strong>ten gegenüberstehen – dies<br />
alles sind Einzelfragen zur Festlegung eines Grundre<strong>ch</strong>tskatalogs, die ohne die<br />
Dur<strong>ch</strong>führung konkreter (Verfassungs-)Diskurse ni<strong>ch</strong>t beantwortet werden können.<br />
Ein vollständiger Katalog konkreter Freiheitsre<strong>ch</strong>te läßt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t diskurstheoretis<strong>ch</strong>unmittelbar<br />
begründen. Vielmehr muß die Begründung um eine mittelbare Komponente<br />
ergänzt werden, wie Alexy sie in <strong>der</strong> Theorie von Habermas feststellt 230 , selbst<br />
aber ni<strong>ch</strong>t verfolgen will 231 , son<strong>der</strong>n nur als mögli<strong>ch</strong>e Ergänzung andeutet 232 . Ri<strong>ch</strong>tigerweise<br />
wird man zur Begründung eines Katalogs konkreter Freiheitsre<strong>ch</strong>te nur gelangen<br />
können, wenn man die unmittelbare um eine mittelbare Begründung <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te<br />
erweitert 233 .<br />
IV. Ergebnisse<br />
Au<strong>ch</strong> die <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> kantis<strong>ch</strong>en Grundposition bieten nur teilweise eine hinrei<strong>ch</strong>ende<br />
<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung. Kantis<strong>ch</strong>e Sozialvertragstheorien und Standpunkttheorien<br />
begegnen s<strong>ch</strong>on im methodis<strong>ch</strong>en Ansatz dur<strong>ch</strong>greifenden Bedenken;<br />
229 Vgl. den ähnli<strong>ch</strong>en, wenn au<strong>ch</strong> von vornherein sehr viel weiter gefaßten Ansatz bei J. Habermas,<br />
Faktizität und Geltung (1992), S. 151: »Dieses System [<strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>te, das die private und öffentli<strong>ch</strong>e<br />
Autonomie zur Geltung bringt,] soll genau die Grundre<strong>ch</strong>te enthalten, die si<strong>ch</strong> Bürger gegenseitig<br />
einräumen müssen, wenn sie ihr Zusammenleben mit Mitteln des positiven Re<strong>ch</strong>ts legitim regeln<br />
wollen.«<br />
230 Dazu R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 146: »Um eine bloß mittelbare Begründung<br />
handelt es si<strong>ch</strong> demgegenüber, wenn die Ents<strong>ch</strong>eidung über die Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te einem<br />
tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> stattfindenden Prozeß überlassen wird, <strong>der</strong> aber bestimmten diskurstheoretis<strong>ch</strong> begründeten<br />
Anfor<strong>der</strong>ungen genügen muß.« (Hervorhebung bei Alexy).<br />
231 Vgl. R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 147: »Hier sollen nur Re<strong>ch</strong>te interessieren,<br />
die si<strong>ch</strong> unmittelbar diskurstheoretis<strong>ch</strong> begründen lassen, also nur im engeren Sinne diskursiv<br />
notwendige Re<strong>ch</strong>te.«<br />
232 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 163 f. – Demokratieargument.<br />
233 Zu einem Versu<strong>ch</strong>, diese Ergänzung vorzunehmen, vgl. unten S. 326 ff. (diskursiv notwendige<br />
<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen); S. 334 ff. (mittelbare Begründung gere<strong>ch</strong>ten Re<strong>ch</strong>ts).<br />
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