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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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s<strong>ch</strong>er Rationalität' o<strong>der</strong> 'Handlungsrationalität' 5 . Die praktis<strong>ch</strong>e Vernunft bezei<strong>ch</strong>net<br />

das Vermögen, auf praktis<strong>ch</strong>e Fragen, das heißt sol<strong>ch</strong>e, die auf die Ri<strong>ch</strong>tigkeit einer<br />

handlungsleitenden Ents<strong>ch</strong>eidung zielen 6 , begründete Antworten zu geben 7 . Der<br />

Anspru<strong>ch</strong> auf <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> stellt si<strong>ch</strong> als ein Son<strong>der</strong>fall des Anspru<strong>ch</strong>s auf Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

dar 8 .<br />

Umstritten ist bereits, ob es überhaupt praktis<strong>ch</strong>e Vernunft gibt, ob also jemals<br />

eine begründete Antwort auf Fragen des ri<strong>ch</strong>tigen Handelns gegeben werden kann 9 .<br />

Gäbe es keine praktis<strong>ch</strong>e Vernunft, so müßte an dieser Stelle jede weitere Untersu<strong>ch</strong>ung<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen mit einer moralis<strong>ch</strong>en Bankrotterklärung abgebro<strong>ch</strong>en<br />

werden. Diese Konsequenz hat die Philosophie tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> einige Zeit gezogen.<br />

Na<strong>ch</strong> einer Phase des Nie<strong>der</strong>gangs ist – na<strong>ch</strong> einigen Vorläufern 10 – erst seit<br />

1971 mit <strong>der</strong> Publikation <strong>der</strong> Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> von Rawls eine breit wirkende<br />

Renaissance <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie und <strong>der</strong> Grundlegungsbemühungen über<br />

praktis<strong>ch</strong>e Vernunft eingetreten 11 . Unter den seitdem entwickelten <strong>Theorien</strong> sind die<br />

prozeduralen <strong>Theorien</strong> praktis<strong>ch</strong>er Vernunft die aussi<strong>ch</strong>tsrei<strong>ch</strong>sten Kandidaten, die<br />

grundlegende Frage na<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> befriedigend zu beantworten. Sie erklären,<br />

5 Dafür etwa G. Patzig, Grußwort zum Wieacker Symposion (1989), S. 12: »Begriff <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en<br />

Vernunft o<strong>der</strong>, wie man heute sagt, <strong>der</strong> Handlungsrationalität«. Ebenso D. Bu<strong>ch</strong>wald, Der Begriff<br />

<strong>der</strong> rationalen juristis<strong>ch</strong>en Begründung (1990), S. 147 ff. Zur besseren Betonung des etwas an<strong>der</strong>en<br />

Wortgebrau<strong>ch</strong>s im anglo-amerikanis<strong>ch</strong>en Literaturraum wird hier Rationalität (rationality) im<br />

Sinne von Zweckrationalität gebrau<strong>ch</strong>t, also ni<strong>ch</strong>t synonym mit praktis<strong>ch</strong>er Vernunft insgesamt<br />

(reason), son<strong>der</strong>n nur mit <strong>der</strong>en pragmatis<strong>ch</strong>em Gebrau<strong>ch</strong>. Zu dieser Differenzierung vgl. J.R. Lucas,<br />

On Justice (1980), S. 37; A.L. Stin<strong>ch</strong>combe, Reason and Rationality (1986), S. 253 ff. – beide angloamerikanis<strong>ch</strong><br />

(rationality/reason); sowie G. Kir<strong>ch</strong>gässner, Homo oeconomicus (1991), S. 178 ff. –<br />

deuts<strong>ch</strong> (rationales Verhalten/vernünftiges Handeln). Ansatzweise bereits bei I. Kant, KrV (1781),<br />

A 800 / B 828 – pragmatis<strong>ch</strong>es Verhalten/praktis<strong>ch</strong>e Vernunft; <strong>der</strong>s., ebd., A 806 / B 834: »Das<br />

praktis<strong>ch</strong>e Gesetz aus dem Bewegungsgrunde <strong>der</strong> Glückseligkeit nenne i<strong>ch</strong> pragmatis<strong>ch</strong> (Klugheitsregel);<br />

dasjenige aber, wofern ein sol<strong>ch</strong>es ist, das zum Bewegungsgrunde ni<strong>ch</strong>ts an<strong>der</strong>es hat,<br />

als die Würdigkeit, glückli<strong>ch</strong> zu werden, moralis<strong>ch</strong> (Sittengesetz).« (Hervorhebungen bei Kant). Vgl.<br />

unten S. 92 (pragmatis<strong>ch</strong>er Gebrau<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft).<br />

6 Die Unters<strong>ch</strong>eidung von theoretis<strong>ch</strong>en und praktis<strong>ch</strong>en Disziplinen geht auf die aristotelis<strong>ch</strong>e<br />

Philosophie zurück. Aristoteles stellte <strong>der</strong> seinsorientierten theoretis<strong>ch</strong>en Philosophie (Logik, Physik,<br />

Mathematik, Metaphysik) die handlungsorientierten Disziplinen <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Philosophie<br />

(Ethik, Ökonomie, Politik) gegenüber. Vgl. zur Analyse A. Pieper, Ethik (1991), S. 24 f.; O. Höffe,<br />

Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 30 ff. Die Terminologie findet ihre Fortsetzung im Begriffspaar<br />

Wahrheit/Ri<strong>ch</strong>tigkeit. Bei begründeten Aussagen im Berei<strong>ch</strong> theoretis<strong>ch</strong>er Fragen spri<strong>ch</strong>t man<br />

von Wahrheit, im Berei<strong>ch</strong> praktis<strong>ch</strong>er Fragen dagegen von Ri<strong>ch</strong>tigkeit; A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong><br />

<strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 5 f., 17.<br />

7 Vgl. (m.w.N.) R.A. Posner, Problems of Jurisprudence (1990), S. 71 ff. (71): »[P]ractical reason ... is<br />

most often used to denote the methods ('deliberation' and 'practical syllogism' are the key expressions<br />

here) that people use to make a practical or ethical <strong>ch</strong>oice«.<br />

8 R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 242.<br />

9 So z.B. O. Weinberger, Der Streit um die praktis<strong>ch</strong>e Vernunft (1992), S. 315 ff. – 'Gibt es praktis<strong>ch</strong>e<br />

Vernunft' und 'Der Traum von <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Erkenntnis'. Na<strong>ch</strong> Ansi<strong>ch</strong>t Weinbergers ist praktis<strong>ch</strong>e<br />

Vernunft in dem Sinne, daß sie Methoden für das Auffinden des moralis<strong>ch</strong> Ri<strong>ch</strong>tigen bietet,<br />

unmögli<strong>ch</strong>. Vgl. unten S. 143 ff. (Vernunftskepsis <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en Grundposition).<br />

10 Vgl. vor allem R.M. Hare, Freedom and Reason (1963).<br />

11 Vgl. oben S. 25, Fn. 17 (Nie<strong>der</strong>gang und Renaissance <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie).<br />

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