Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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gen.« 188 Weinberger hat jüngst allgemeiner formuliert: »Politik ist sozial relevantes<br />
Handeln.« 189 Hier kann und muß <strong>der</strong> Begriffsstreit über diese und an<strong>der</strong>e, kompliziertere<br />
Definitionen 190 ni<strong>ch</strong>t geführt werden. Statt dessen sollen ledigli<strong>ch</strong> die unumstrittenen<br />
Gehalte <strong>der</strong> Politik auf ihren strategis<strong>ch</strong>en und ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>en Charakter<br />
hin untersu<strong>ch</strong>t werden, um ans<strong>ch</strong>ließend die These zu begründen, daß die Konzeption<br />
deliberativer Politik, wie Habermas sie entwickelt hat, an Plausibilität gewinnen<br />
kann, wenn man sie als eine Theorie <strong>der</strong> realen Diskurse in <strong>der</strong> Politik formuliert<br />
und insofern die Son<strong>der</strong>fallthese vom Re<strong>ch</strong>t auf die ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>e Politik<br />
ausdehnt.<br />
a) Der strategis<strong>ch</strong>e Charakter <strong>der</strong> Politik<br />
Politik ist in erster Linie strategis<strong>ch</strong> 191 . Als 'strategis<strong>ch</strong>' bezei<strong>ch</strong>net man jedes Handeln,<br />
mit dem ein Handeln<strong>der</strong> ein Ziel verfolgt und dabei die Ents<strong>ch</strong>eidungen mindestens<br />
eines weiteren zielgeri<strong>ch</strong>tet Handelnden in das Erfolgskalkül einbezieht 192 .<br />
In <strong>der</strong> Politik wollen die Beteiligten individuelle o<strong>der</strong> kollektive Ziele verwirkli<strong>ch</strong>en.<br />
Sie vereinigen si<strong>ch</strong> dazu auf <strong>der</strong> Grundlage von Wahlplattformen o<strong>der</strong> Programmen,<br />
gehen Allianzen ein, bilden Koalitionen, bekämpfen politis<strong>ch</strong>e Gegner; dies alles sind<br />
strategis<strong>ch</strong>e Handlungsweisen.<br />
Das strategis<strong>ch</strong>e Politikverständnis spiegelt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> im Parteibegriff wi<strong>der</strong>.<br />
Während im klassis<strong>ch</strong>en Verständnis die Partei no<strong>ch</strong> eine Mens<strong>ch</strong>engruppe war, <strong>der</strong>en<br />
Mitglie<strong>der</strong> aufgrund eines gemeinsam als ri<strong>ch</strong>tig erkannten Prinzips das Gemeinwohl<br />
fö<strong>der</strong>n wollen, also ni<strong>ch</strong>t allein eigennützige Gruppenziele verfolgen, legt die<br />
neuere Politikwissens<strong>ch</strong>aft das strategis<strong>ch</strong>e Interesse hinter dem Parteihandeln offen:<br />
»Eine Partei ist eine Gruppe, <strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong> willens sind, im Konkurrenzkampf<br />
um die politis<strong>ch</strong>e Ma<strong>ch</strong>t in Übereinstimmung miteinan<strong>der</strong> zu handeln.« 193 No<strong>ch</strong> früher<br />
als beim Parteibegriff findet si<strong>ch</strong> dieses strategis<strong>ch</strong>e Verständnis von Politik im<br />
188 J.A. S<strong>ch</strong>umpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie (1942), S. 386.<br />
189 O. Weinberger, Zur Theorie <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Argumentation (1995), S. 164.<br />
190 Mehrdimensional (national/international, instrumentell/als Selbstzweck) etwa die Begriffsbestimmung<br />
bei M. Weber, Wirts<strong>ch</strong>aft und Gesells<strong>ch</strong>aft (1976), Bd. II, S. 822: »'Politik' würde für uns<br />
also heißen: Streben na<strong>ch</strong> Ma<strong>ch</strong>tanteil o<strong>der</strong> na<strong>ch</strong> Beeinflussung <strong>der</strong> Ma<strong>ch</strong>tverteilung, sei es zwis<strong>ch</strong>en<br />
Staaten, sei es innerhalb eines Staates zwis<strong>ch</strong>en den Mens<strong>ch</strong>engruppen, die er ums<strong>ch</strong>ließt.<br />
... Wer Politik treibt, erstrebt Ma<strong>ch</strong>t: Ma<strong>ch</strong>t entwe<strong>der</strong> als Mittel im Dienst an<strong>der</strong>er Ziele – idealer<br />
o<strong>der</strong> egoistis<strong>ch</strong>er –, o<strong>der</strong> Ma<strong>ch</strong>t 'um ihrer selbst willen': um das Prestigegefühl, das sie gibt, zu<br />
genießen.«<br />
191 Um diese Feststellung zu treffen, muß man keineswegs so weit gehen wie Carl S<strong>ch</strong>mitt, <strong>der</strong> von einer<br />
»allem politis<strong>ch</strong>en Verhalten immanenten Freund-Feindunters<strong>ch</strong>eidung« spri<strong>ch</strong>t und dann<br />
postuliert: »zum Begriff des Feindes gehört die im Berei<strong>ch</strong> des Realen liegende Eventualität eines<br />
Kampfes«, um ans<strong>ch</strong>ließend den Krieg als normales Mittel <strong>der</strong> Politik und Charakteristikum des<br />
Staates anzusehen: C. S<strong>ch</strong>mitt, Der Begriff des Politis<strong>ch</strong>en (1932), S. 19 ff., 33 f. Beispielhaft für ein<br />
rein strategis<strong>ch</strong>es Politikverständnis ist dessen These (S. 25): »Das Politis<strong>ch</strong>e liegt ... in <strong>der</strong> klaren<br />
Erkenntnis <strong>der</strong> eigenen ... Situation und in <strong>der</strong> Aufgabe, Freund und Feind ri<strong>ch</strong>tig zu unters<strong>ch</strong>eiden.«<br />
Zur Kritik ausführli<strong>ch</strong> H. S<strong>ch</strong>ulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentaris<strong>ch</strong>er Gesetzgebung<br />
(1988), S. 376 m.w.N.<br />
192 J. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1 (1981), S. 127; dazu oben S. 232 (arguing<br />
vs. bargaining).<br />
193 J.A. S<strong>ch</strong>umpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie (1942), S. 449 f.<br />
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