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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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d) Zwei Bedingungen rationalen Verhandelns<br />

Bei aller Unbestimmtheit <strong>der</strong> Anwendungsbedingungen im Detail formuliert die<br />

Spieltheorie immerhin zwei Bedingungen, die für jedes rationale Verhalten in Verhandlungssituationen<br />

gelten: Erstens wird keine Partei eine Vereinbarung akzeptieren,<br />

die ihr weniger bietet als sie ohne Vereinbarung hätte (Freiwilligkeitsbedingung).<br />

Und zweitens werden die Parteien eine Vereinbarung treffen, bei <strong>der</strong> es<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr mögli<strong>ch</strong> ist, die Situation einer Partei zu verbessern, ohne glei<strong>ch</strong>zeitig die<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en zu vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern (Optimalitätsbedingung). Diese zweite Handlungsbedingung<br />

entspri<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Erkenntnis, daß Verhandlungsergebnisse zumindest Pareto-optimal<br />

sein müssen. Pareto-Optimalität ist definiert als ein Ergebnis, bei dem die<br />

Besserstellung einer Partei ohne eine Vers<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terung für die an<strong>der</strong>e Partei ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr mögli<strong>ch</strong> ist. Vereinfa<strong>ch</strong>end kann man von einer 100%-Verteilung bei maximaler<br />

Güterproduktion spre<strong>ch</strong>en.<br />

Das Kriterium <strong>der</strong> Pareto-Optimalität ist indifferent gegenüber einer Vielzahl unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er<br />

Verteilungen. Das kann anhand eines Beispiels verdeutli<strong>ch</strong>t werden:<br />

A und B wollen ein Bebauungsprojekt dur<strong>ch</strong> Kooperation realisieren. Sie treffen die<br />

Vereinbarung, daß A 99% und B 1% des Gewinns erhalten soll. Die zwei Bedingungen<br />

rationalen Verhandelns werden dur<strong>ch</strong> eine 99 zu 1 Verteilung genauso erfüllt<br />

wie dur<strong>ch</strong> jede an<strong>der</strong>e 100%-Verteilung (98 zu 2, 97 zu 3 u.s.w.), denn beide Parteien<br />

sind besser gestellt als ohne Vereinbarung (Freiwilligkeitsbedingung) und keine Partei<br />

kann mehr erhalten, ohne daß dies zu Lasten <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en ginge (Optimalitätsbedingung).<br />

Wegen <strong>der</strong> Vielzahl <strong>der</strong> Pareto-optimalen Verteilungsmögli<strong>ch</strong>keiten (Pareto-Punkte)<br />

spri<strong>ch</strong>t man au<strong>ch</strong> von einer Verteilung auf <strong>der</strong> Pareto-Linie 65 .<br />

Die rationale Kooperation kann unter Umständen au<strong>ch</strong> jenseits <strong>der</strong> Pareto-Linie<br />

liegen. So etwa, wenn mit dem Kaldor-Hicks-Kriterium <strong>der</strong> Nutzen einzelner so lange<br />

zu Lasten an<strong>der</strong>er vergrößert wird, bis si<strong>ch</strong> die Ents<strong>ch</strong>ädigung <strong>der</strong> Bena<strong>ch</strong>teiligten<br />

dur<strong>ch</strong> die Begünstigten ni<strong>ch</strong>t mehr lohnt. Insoweit handelt es si<strong>ch</strong> um notwendige,<br />

aber ni<strong>ch</strong>t hinrei<strong>ch</strong>ende Bedingungen rationalen Verhandelns 66 .<br />

2. Die Mögli<strong>ch</strong>keiten <strong>der</strong> Spieltheorie als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

Die Spieltheorie ist die Grundform einer prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie. Sie ist<br />

eine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie 67 , weil sie eine Verteilung von Vorteilen und<br />

Lasten als gere<strong>ch</strong>t betra<strong>ch</strong>tet, wenn diese die beiden Bedingungen rationalen Verhandelns<br />

(Freiwilligkeits- und Optimalitätsbedingung) erfüllt, glei<strong>ch</strong> wel<strong>ch</strong>es konkrete<br />

Verteilungsergebnis erzielt wird. Sie ist eine Grundform, weil die spieltheoretis<strong>ch</strong>e<br />

Fairneß gere<strong>ch</strong>tigkeitstheoretis<strong>ch</strong> erst no<strong>ch</strong> ausgefüllt werden muß, um die<br />

65 B. Barry, Theories of Justice (1989), S. 3: »I can explain the notion of the Pareto frontier by saying<br />

that it is the set of Pareto-optimal points«.<br />

66 Kaldor-Hicks-Effizienz hat – an<strong>der</strong>s als Pareto-Effizienz – für si<strong>ch</strong> gesehen keine normative Relevanz,<br />

wenn ni<strong>ch</strong>t gezeigt werden kann, daß auf lange Si<strong>ch</strong>t die Implementierung von Kaldor-<br />

Hicks-Än<strong>der</strong>ungen für jeden vorteilhaft ist; R.J. Arneson, Rational Contractarianism (1992), S. 898.<br />

67 Dazu oben S. 132 (D 4 – eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie, na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm N genau<br />

dann ri<strong>ch</strong>tig ist, wenn sie das Ergebnis einer bestimmten Prozedur P sein kann).<br />

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