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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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in <strong>der</strong> Form des rationalistis<strong>ch</strong>en Naturre<strong>ch</strong>ts (Vernunftre<strong>ch</strong>ts), na<strong>ch</strong> dem als ri<strong>ch</strong>tig<br />

Erkannten.<br />

Es kann ein enger und ein weiter Naturre<strong>ch</strong>tsbegriff unters<strong>ch</strong>ieden werden. Naturre<strong>ch</strong>t<br />

im engeren Sinn ist nur das ontologis<strong>ch</strong>e Naturre<strong>ch</strong>t 243 , das bis auf wenige<br />

Ausnahmen neuerer, meist religiös motivierter <strong>Theorien</strong> 244 in <strong>der</strong> Zeit vor <strong>der</strong> Aufklärung<br />

begründet wurde 245 . <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> wird dabei in einem personalen Sinn verstanden,<br />

etwa in <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdefinition bei Ulpian 246 . Beginnend mit <strong>der</strong> neuzeitli<strong>ch</strong>en<br />

Philosophie (Descartes) orientieren si<strong>ch</strong> Antworten demgegenüber an Kriterien<br />

<strong>der</strong> Vernunft – juristis<strong>ch</strong> gewendet in Form eines rationalistis<strong>ch</strong>en Naturre<strong>ch</strong>ts<br />

o<strong>der</strong> Vernunftre<strong>ch</strong>ts, das dur<strong>ch</strong> die Aufklärung (Kant) dann (abgesehen von aufklärungskritis<strong>ch</strong>en<br />

Ausnahmen) zu einem kritis<strong>ch</strong>en Vernunftre<strong>ch</strong>t wird 247 . Naturre<strong>ch</strong>t in<br />

diesem weiteren Sinne ist jedes Normensystem, das na<strong>ch</strong> Maßstäben für positives<br />

Re<strong>ch</strong>t fragt, also sowohl ältere ontologis<strong>ch</strong>e Naturre<strong>ch</strong>tslehren als au<strong>ch</strong> das neuzeitli<strong>ch</strong>e<br />

Vernunftre<strong>ch</strong>t eins<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> aller normativ-politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien 248 .<br />

Für die Zwecke dieser Untersu<strong>ch</strong>ung wird <strong>der</strong> enge Naturre<strong>ch</strong>tsbegriff verwendet,<br />

um die Abgrenzung von neueren <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien zu betonen. Unter 'Naturre<strong>ch</strong>t'<br />

wird im folgenden also, soweit ni<strong>ch</strong>t ausdrückli<strong>ch</strong> an<strong>der</strong>s gekennzei<strong>ch</strong>net, nur<br />

das ontologis<strong>ch</strong>e Naturre<strong>ch</strong>t, ni<strong>ch</strong>t dagegen das Vernunftre<strong>ch</strong>t verstanden.<br />

243 A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 9 f. spri<strong>ch</strong>t von dem substanzontologis<strong>ch</strong>en<br />

Denken als Grundlage für 'Naturre<strong>ch</strong>t im herkömmli<strong>ch</strong>en Sinne' bzw. 'Naturre<strong>ch</strong>t alter<br />

Art'. R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 108 kennzei<strong>ch</strong>net als 'klassis<strong>ch</strong>e' Naturre<strong>ch</strong>tslehren<br />

diejenigen, die Natur ni<strong>ch</strong>t im Sinne <strong>der</strong> neuzeitli<strong>ch</strong>en Naturwissens<strong>ch</strong>aft, son<strong>der</strong>n als »sinnvoll-werthaft-vernünftige<br />

Seinsordnung o<strong>der</strong>, <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong> interpretiert, als göttli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>öpfungsordnung«<br />

verstehen. Den engen Naturre<strong>ch</strong>tsbegriff verwendet au<strong>ch</strong> H. Kelsen, Allgemeine Theorie<br />

<strong>der</strong> Normen (1979), S. 4 ff.: Alle Naturre<strong>ch</strong>tslehren gründeten letztli<strong>ch</strong> auf Voraussetzungen<br />

eines religiösen Bekenntnisses.<br />

244 Etwa E. Brunner, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1943), S. 54 ff. (54): »Das göttli<strong>ch</strong>e Gesetz <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>«. Ein<br />

vernunftre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> gewendetes, aber glei<strong>ch</strong>wohl no<strong>ch</strong> religiöses Naturre<strong>ch</strong>t unter Bezugnahme auf<br />

Thomas von Aquin kann bei G. Grisez, Beyond the New Theism (1975); <strong>der</strong>s., Christian Moral Principles<br />

(1983) und J. Finnis, Natural Law and Natural Rights (1980) verortet werden; kritis<strong>ch</strong> dazu<br />

etwa: R. Hittinger, Critique of the New Natural Law Theory (1987), S. 155 ff. (192): »A natural law<br />

theory must show how nature is normative with regard to practical rationality. This has not been<br />

accomplished by the Grisez-Finnis method.«<br />

245 Dazu oben Fn. 234 (Naturre<strong>ch</strong>tslehren).<br />

246 Dazu oben S. 45 (suum cuique-Formel; bei Ulpian: iustitia est constans et perpetua voluntas ius suum<br />

unicuique tribuendi) sowie S. 66 ff. (idealistis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff und Subjektivierung). Zum<br />

Gegensatz <strong>der</strong> personalen zur politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> siehe O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1987), S. 59 f.<br />

247 Der We<strong>ch</strong>sel von einer 'metaphysis<strong>ch</strong>en' zur 'praktis<strong>ch</strong>en' Philosophie kann fühestens bei René<br />

Descartes, die Unters<strong>ch</strong>eidung von mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er und natürli<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> frühestens bei den<br />

Vorsokratikern festgestellt werden; A. Kaufmann, Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1984), S. 11 f., 20. Die<br />

prägende Vorstellung, daß mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Ordnung allein Mens<strong>ch</strong>enwerk sein darf, statt si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong><br />

natürli<strong>ch</strong>en Vorgaben zu ri<strong>ch</strong>ten, setzt hingegen eine kritis<strong>ch</strong>e Distanz zur Metaphysik voraus,<br />

wie sie systematis<strong>ch</strong> erst mit <strong>der</strong> Aufklärung in <strong>der</strong> kritis<strong>ch</strong>en Philosophie Kants entwickelt wurde.<br />

248 Vgl. die Verwendung des weiten Naturre<strong>ch</strong>tsbegriffs bei J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 77,<br />

S. 506 mit Fn. 30: »Thus justice as fairness has the <strong>ch</strong>aracteristic marks of a natural rights theory.«<br />

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