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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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Linie axiologis<strong>ch</strong>, begründen also <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> damit, daß etwas als 'gut' bewertet<br />

werden kann 117 . Daraus ergeben si<strong>ch</strong> drei Unters<strong>ch</strong>iede zu dem hier verwendeten<br />

deontologis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff 118 .<br />

Ein erster Unters<strong>ch</strong>ied liegt darin, daß axiologis<strong>ch</strong>e Prädikate graduell verwirkli<strong>ch</strong>t<br />

werden können, weil eine Sa<strong>ch</strong>e mehr o<strong>der</strong> weniger gut sein kann. Dagegen<br />

vergibt man deontologis<strong>ch</strong>e Prädikate absolut, d.h. entwe<strong>der</strong> ganz o<strong>der</strong> gar ni<strong>ch</strong>t 119 .<br />

In Tugendlehren und idealistis<strong>ch</strong>en Ethiken, denen eine Konzeption des Guten<br />

zugrunde liegt, ist die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> eine Tugend des Mens<strong>ch</strong>en 120 , also eine Eigens<strong>ch</strong>aft,<br />

dur<strong>ch</strong> die <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong> gut wird 121 . Ein einzelnes Handeln verdient das Prädikat<br />

'gere<strong>ch</strong>t' wenn es (teleologis<strong>ch</strong>) den Handelnden dem vorbestimmten Ziel <strong>der</strong><br />

Tugendhaftigkeit näher bringt. Der Mens<strong>ch</strong> selbst kann dabei mehr o<strong>der</strong> weniger gere<strong>ch</strong>t<br />

sein; eine einzelne Ungere<strong>ch</strong>tigkeit im Handeln ma<strong>ch</strong>t ihn ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>thin<br />

ungere<strong>ch</strong>t 122 . Neben die absolute Bedeutung ('s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>thin gere<strong>ch</strong>t') tritt also in <strong>der</strong><br />

Tugendlehre eine graduelle Bedeutung des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprädikats. Beim deontologis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff in D 1 ist dies ausges<strong>ch</strong>lossen. Die definitionsgemäß erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong>e<br />

'Pfli<strong>ch</strong>tigkeit' des Handelns impliziert bereits eine absolute Geltung, in<br />

<strong>der</strong> jede Graduierbarkeit ausges<strong>ch</strong>lossen ist: ein Handeln kann nur entwe<strong>der</strong> ganz<br />

o<strong>der</strong> gar ni<strong>ch</strong>t pfli<strong>ch</strong>tig sein.<br />

Ein zweiter Unters<strong>ch</strong>ied entsteht dur<strong>ch</strong> die Einbeziehung des Gesetzesgehorsams<br />

in das tugendzentrierte <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sverständnis. Die Tugendhaftigkeit des Mens<strong>ch</strong>en<br />

beweist si<strong>ch</strong> dabei in <strong>der</strong> Befolgung gesetzli<strong>ch</strong>er Gebote und Verbote 123 . Demgegenüber<br />

kann es gemäß D 1 für die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gerade ni<strong>ch</strong>t darauf ankommen,<br />

ob ein Handeln Ausdruck von Gesetzesgehorsam ist o<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t. Die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des<br />

Handelns muß zunä<strong>ch</strong>st unabhängig von Re<strong>ch</strong>tsnormen bestimmt werden, soll sie<br />

si<strong>ch</strong> dazu eignen, Maßstäbe für das Re<strong>ch</strong>t zu liefern.<br />

Der dritte Unters<strong>ch</strong>ied liegt in <strong>der</strong> Subjektivierung <strong>der</strong> Kriterien für <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

124 . Im tugendzentrierten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sverständnis kommt es grundsätzli<strong>ch</strong> auf<br />

den guten Willen an 125 . Dieser Zusammenhang findet si<strong>ch</strong> treffend in <strong>der</strong> Formulierung<br />

Ulpians, na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> davon abhängt, daß ein Mens<strong>ch</strong> dauerhaft<br />

den Willen hat, jedem das Seine zu gewähren (iustitia est constans et perpetua voluntas<br />

ius suum cuique tribuere) 126 . Indem D 1 ledigli<strong>ch</strong> auf die Pfli<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns,<br />

117 Dazu oben S. 52 ff. (Sollensbezug und axiologis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff D 1A ).<br />

118 Dazu oben S. 50 (D 1 ).<br />

119 Vgl. oben S. 52 ff. bei Fn. 59 (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist 'binär kodiert'). Das heißt ni<strong>ch</strong>t, daß bei deontologis<strong>ch</strong>en<br />

Prädikaten ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> Regelkollisionen dur<strong>ch</strong> Vorrangverhältnisse o<strong>der</strong> Prinzipienkollisionen<br />

dur<strong>ch</strong> Abwägungen gelöst werden müßten. Do<strong>ch</strong> bleibt im Ergebnis immer eine absolute<br />

Aussage über die Pfli<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns.<br />

120 Aristoteles, Nikoma<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Ethik, V 1-15 (1129a 1 ff.). Vgl. unten S. 161 ff. (neoaristotelis<strong>ch</strong>er<br />

Kommunitarismus MacIntyres).<br />

121 Aristoteles, Nikoma<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Ethik, II 5 (1106a 15-24).<br />

122 Aristoteles, Nikoma<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Ethik, V 10 (1134a 17-23).<br />

123 Dazu oben S. 56 (aristotelis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff). Aristoteles, Nikoma<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Ethik, V 3<br />

(1129b 11-14).<br />

124 F. Bydlinski, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als re<strong>ch</strong>tspraktis<strong>ch</strong>er Maßstab (1996), S. 109 f.<br />

125 Aristoteles, Nikoma<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Ethik, V 1 (1129a 6-11).<br />

126 Vgl. oben S. 45 (suum cuique-Formel).<br />

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