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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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2. Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Unparteili<strong>ch</strong>keit (B. Barry)<br />

a) Die Unparteili<strong>ch</strong>keit zweiter Ordnung<br />

Barry nennt seine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie die »Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Unparteili<strong>ch</strong>keit«<br />

438 . Die Theorie su<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> Prinzipien und Regeln, die als Grundlage für eine<br />

freie Einigung zwis<strong>ch</strong>en sol<strong>ch</strong>en Personen dienen können, die eine Einigung unter<br />

vernünftigen Bedingungen wollen (Unparteili<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> zweiten Ordnung) 439 . Sie ist<br />

trotz ihrer Bezugnahme auf eine 'Einigung' keine Sozialvertragstheorie, da sie auf<br />

das Darstellungsmittel des Vertrags verzi<strong>ch</strong>tet. Die Theorie grenzt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> von Beoba<strong>ch</strong>tertheorien<br />

wie <strong>der</strong>jenigen Nagels ab, denn ihre Unparteili<strong>ch</strong>keit ist ni<strong>ch</strong>t diejenige<br />

eines unparteiis<strong>ch</strong>en Beoba<strong>ch</strong>ters 440 . Die gemeinte Unparteili<strong>ch</strong>keit ist ferner<br />

ni<strong>ch</strong>t die universelle Unparteili<strong>ch</strong>keit 'erster Ordnung', die Barry in simplizistis<strong>ch</strong>en<br />

Versionen des Utilitarismus und Kantianismus verortet 441 . Unparteili<strong>ch</strong>keit 'zweiter<br />

Ordnung' will vielmehr Prinzipien und Regeln bestimmen, die als Metakriterien für<br />

die Vermittlung zwis<strong>ch</strong>en konfligierenden Konzeptionen des Guten taugen. Eine<br />

Unparteili<strong>ch</strong>keit erster Ordnung, verstanden als umfassen<strong>der</strong> Altruismus, könnte<br />

das ni<strong>ch</strong>t leisten, da sol<strong>ch</strong>er Altruismus mindestens so viele konfligierende Standpunkte<br />

erzeugt, wie es Konzeptionen des Guten gibt 442 .<br />

b) Die Notwendigkeit von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln<br />

Zunä<strong>ch</strong>st stellt Barry fest, daß jede Gesells<strong>ch</strong>aft, selbst wenn sie je eine einheitli<strong>ch</strong>e<br />

Konzeption des Guten befürwortet (etwa diejenige des Utilitarismus o<strong>der</strong> des Thomismus),<br />

immer no<strong>ch</strong> bestimmte Regeln benötige: Verfassungsregeln, die Quelle und<br />

Anwendungsberei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Autorität definieren, Regeln des Gesetzesre<strong>ch</strong>ts<br />

und Regeln außerhalb des positiven Re<strong>ch</strong>ts, die bestimmte Verhaltensweisen als<br />

fals<strong>ch</strong> kennzei<strong>ch</strong>nen 443 . Sol<strong>ch</strong>e Regeln, die jede Gesells<strong>ch</strong>aft benötigt, um Konflikte<br />

zu vermeiden, nennt er '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sregeln' (rules of justice). An<strong>der</strong>s als bei <strong>Theorien</strong><br />

<strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition will Barry die Regeln indes dur<strong>ch</strong> eine freistehende<br />

Konzeption <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ausfüllen, also eine sol<strong>ch</strong>e, die ni<strong>ch</strong>t von einer übereinstimmenden<br />

Konzeption des Guten getragen wird, son<strong>der</strong>n ein an<strong>der</strong>es Motiv für<br />

ihre Befolgung aktiviert. Dieses Motiv sieht Barry in <strong>der</strong> unparteiis<strong>ch</strong>en Ents<strong>ch</strong>eidung<br />

zwis<strong>ch</strong>en konfligierenden Ansprü<strong>ch</strong>en, die si<strong>ch</strong> aus den unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Interessen,<br />

Perspektiven und Konzeptionen des Guten ergeben. Auf eine sol<strong>ch</strong>e Unparteili<strong>ch</strong>keit<br />

<strong>der</strong> zweiten Ordnung sollen si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die Anhänger wi<strong>der</strong>streiten<strong>der</strong><br />

Konzeptionen des Guten einigen können.<br />

438 B. Barry, Justice as Impartiality (1995), S. 11, 52 ff. (72 ff.).<br />

439 So ausdrückli<strong>ch</strong> B. Barry, Justice as Impartiality (1995), S. 11.<br />

440 Vgl. B. Barry, Justice as Impartiality (1995), S. 255: »I denied that justice as impartiality is a 'view<br />

from nowhere'«.<br />

441 B. Barry, Justice as Impartiality (1995), S. 12, 217 ff., 234 ff.<br />

442 Barry beruft si<strong>ch</strong> insoweit auf eine Einsi<strong>ch</strong>t, die bereits Nagel formuliert hat; B. Barry, Justice as<br />

Impartiality (1995), S. 28.<br />

443 Hierzu und zum folgenden B. Barry, Justice as Impartiality (1995), S. 73 ff. (75).<br />

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