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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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li<strong>ch</strong> findet si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> bei Habermas <strong>der</strong> Hinweis, die Prozeduralisierung sei als ein<br />

neues Paradigma zu verstehen, das im gesamten Re<strong>ch</strong>t wirke und ni<strong>ch</strong>t bloß oberste<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien generiere 79 . Indes: das damit angespro<strong>ch</strong>ene Programm ist<br />

nirgends eingelöst 80 . Rawls und Habermas bes<strong>ch</strong>ränken si<strong>ch</strong> auf die Begründung und<br />

Erläuterung allgemeinster <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien, Höffes Staatsre<strong>ch</strong>tfertigung<br />

bleibt punktuell 81 und au<strong>ch</strong> Barry ist inzwis<strong>ch</strong>en von seinem ursprüngli<strong>ch</strong>en Vorhaben<br />

abgerückt und hat die re<strong>ch</strong>tsdogmatis<strong>ch</strong>en Zusammenhänge aus <strong>der</strong> Trilogie<br />

ausgeklammert 82 .<br />

<strong>Prozedurale</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien sind bisher als <strong>Theorien</strong>klasse aus juristis<strong>ch</strong>er<br />

Si<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t hinlängli<strong>ch</strong> untersu<strong>ch</strong>t worden 83 . Das liegt unter an<strong>der</strong>em an <strong>der</strong><br />

Zurückhaltung, die si<strong>ch</strong> Protagonisten von Verfahrenstheorien auferlegen, wenn es<br />

darum geht, konkrete inhaltli<strong>ch</strong>e Folgerungen für das Re<strong>ch</strong>t aus den <strong>Theorien</strong> abzuleiten.<br />

Sol<strong>ch</strong>e Zurückhaltung ist verständli<strong>ch</strong>, blickt man auf die Gefahren, die mit<br />

je<strong>der</strong> konkretisierenden Anwendung verbunden sind: allzu lei<strong>ch</strong>t können persönli<strong>ch</strong>e<br />

Präferenzen den Platz universeller o<strong>der</strong> zumindest intersubjektiver Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

einnehmen, kann spekulative Metaphysik die wohlformulierte Theorie untergraben<br />

84 . Do<strong>ch</strong> ein Rückzug auf das Formale und Abstrakte, die Ausklammerung aller<br />

inhaltli<strong>ch</strong>en Fragen, die ni<strong>ch</strong>t einmal mehr die Struktur <strong>der</strong> realen Lösungsansätze<br />

untersu<strong>ch</strong>t, würde au<strong>ch</strong> bedeuten, daß eine originäre Aufgabe <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Philosophie<br />

aufgegeben wird 85 . S<strong>ch</strong>on deshalb muß gewagt werden, jenseits <strong>der</strong> si<strong>ch</strong>eren<br />

Gefilde abstrakter Theoriebildung und allgemeinster <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien die<br />

theoretis<strong>ch</strong>en Erkenntnisse in wi<strong>ch</strong>tigen Berei<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tsdogmatik dur<strong>ch</strong>zude-<br />

79 Dazu unten S. 245 ff. (prozedurales Re<strong>ch</strong>tsparadigma).<br />

80 Insoweit unergiebig ist neben den im Text erwähnten Ansätzen au<strong>ch</strong> die neure Theorie von<br />

D. Dürr, Diskursives Re<strong>ch</strong>t (1994).<br />

81 Vgl. zur Kritik K. Günther, Kann ein Volk von Teufeln Re<strong>ch</strong>t und Staat moralis<strong>ch</strong> legitimieren?<br />

(1991), S. 217; P. Koller, Otfried Höffes Begründung <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te und des Staates (1997),<br />

S. 301 ff. Zu Einzelheiten unten S. 281 ff. (Kritik an Höffes transzendentalem Taus<strong>ch</strong>).<br />

82 B. Barry, Justice as Impartiality (1995), S. x – Statt des ursprüngli<strong>ch</strong>en Anwendungsbezugs sollen<br />

ledigli<strong>ch</strong> Einzelfragen in Aufsätzen erörtert werden.<br />

83 Zur Thematisierung in kurzen Beiträgen siehe etwa L. Kern, Von Habermas zu Rawls (1986),<br />

S. 83 ff.; A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 5 ff.; R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 111 ff.<br />

84 Der Begriff <strong>der</strong> Metaphysik ist mehrdeutig. Metaphysik im weitesten Sinne ist jede Behauptung,<br />

es gebe Erkenntnis jenseits <strong>der</strong> empiris<strong>ch</strong>en Welt, d.h. au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on jede Behauptung <strong>der</strong> Moralerkenntnis<br />

(praktis<strong>ch</strong>e Metaphysik). Metaphysik im hier gemeinten engeren Sinn ist dagegen nur<br />

die theoretis<strong>ch</strong>e o<strong>der</strong> ontologis<strong>ch</strong>e Metaphysik, also die These, daß es eine Wirkli<strong>ch</strong>keit jenseits<br />

<strong>der</strong> empiris<strong>ch</strong>en Welt gebe, z.B. moralis<strong>ch</strong>e Tatsa<strong>ch</strong>en, eine vorgegebene, normative Mens<strong>ch</strong>ennatur<br />

o<strong>der</strong> eine an<strong>der</strong>e Korrespondenz zwis<strong>ch</strong>en Sinnstiftung und Weltstruktur; vgl. G.E. Moore,<br />

Principia Ethica (1903), S. 111 – »[M]etaphysicians ... have in general supposed that whatever does<br />

not exist in time, must at least exist elsewhere, if it is to be at all – that, whatever does not exist in<br />

Nature, must exist in some supersensible reality, whether timeless or not.« (Hervorhebungen bei<br />

Moore). Unter dem Begriff <strong>der</strong> Metaphysik im engeren Sinne versammeln si<strong>ch</strong> dana<strong>ch</strong> alle Aussagen,<br />

die empiris<strong>ch</strong>en Untersu<strong>ch</strong>ungsmethoden ni<strong>ch</strong>t zugängli<strong>ch</strong> und deshalb jedenfalls ni<strong>ch</strong>t im<br />

naturwissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Sinne erkenntnisfähig sind. Der Rückgriff auf sol<strong>ch</strong>e Metaphysik läuft<br />

Gefahr, ins Spekulative abzugleiten.<br />

85 S. Huster, Re<strong>ch</strong>te und Ziele (1993), S. 453.<br />

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