Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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auf die si<strong>ch</strong> einzelne <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> beziehen, sind damit<br />
immer no<strong>ch</strong> so unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>, daß si<strong>ch</strong> die Frage <strong>der</strong> Verglei<strong>ch</strong>barkeit und Vollständigkeit<br />
<strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> stellt.<br />
1. Die Verglei<strong>ch</strong>barkeit von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />
Für eine Analyse <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> politis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> stellt die Frage <strong>der</strong> Verglei<strong>ch</strong>barkeit<br />
eine grundlegende methodis<strong>ch</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ung dar. Immerhin ist es<br />
denkbar, daß die vers<strong>ch</strong>iedenen <strong>Theorien</strong> einan<strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>t nur unauflösli<strong>ch</strong> wi<strong>der</strong>spre<strong>ch</strong>en,<br />
in diesem Sinne also unvereinbar sind, son<strong>der</strong>n bereits einen <strong>der</strong>art unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />
Gegenstand betra<strong>ch</strong>ten o<strong>der</strong> Blickwinkel einnehmen, daß sie als unverglei<strong>ch</strong>bar<br />
angesehen werden müssen (Inkommensurabilitätsthese) 333 . Während si<strong>ch</strong> bei bloßer<br />
Unvereinbarkeit über die Vorzüge <strong>der</strong> einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Theorie treffli<strong>ch</strong> streiten<br />
läßt, muß <strong>der</strong> Kritiker angesi<strong>ch</strong>ts von Unverglei<strong>ch</strong>barkeit s<strong>ch</strong>weigen: wo ni<strong>ch</strong>t vergli<strong>ch</strong>en<br />
werden kann, wird verglei<strong>ch</strong>ende Kritik sinnlos.<br />
Die Inkommensurabilitätsthese manifestiert si<strong>ch</strong> an zwei Theorieunters<strong>ch</strong>ieden:<br />
erstens an den vers<strong>ch</strong>iedenen politis<strong>ch</strong>en Idealen, die in <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien zum<br />
Ausdruck kommen (politis<strong>ch</strong>e Inkommensurabilität, dazu a), und zweitens an den vers<strong>ch</strong>iedenen<br />
Gegenständen, <strong>der</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> untersu<strong>ch</strong>t wird (konzeptuelle Inkommensurabilität,<br />
dazu b). Den methodis<strong>ch</strong>en Bedenken läßt si<strong>ch</strong>, soweit sie überhaupt<br />
begründet sind, mit <strong>der</strong> Skalierbarkeitsthese begegnen (c).<br />
a) Zur politis<strong>ch</strong>en Inkommensurabilität (J.P. Sterba)<br />
In <strong>der</strong> ersten (<strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en) Variante wird die Inkommensurabilitätsthese von Sterba<br />
vertreten. Zwis<strong>ch</strong>en dem Freiheitsideal des libertären Individualisten, dem<br />
Glei<strong>ch</strong>heitsideal des Sozialisten, dem Fairneßideal des Sozialdemokraten, dem Tugendideal<br />
des Kommunitaristen und dem Androgynitätsideal <strong>der</strong> Feministin 334 bestünden<br />
so grundlegende Differenzen, daß diese Ideale ni<strong>ch</strong>t nur unvereinbar, son<strong>der</strong>n<br />
sogar unverglei<strong>ch</strong>bar würden (politis<strong>ch</strong>e Inkommensurabilitätsthese) 335 . Die Glei<strong>ch</strong>heitsfor<strong>der</strong>ung<br />
des Sozialisten läßt si<strong>ch</strong> dana<strong>ch</strong> nur vor dem Hintergrund des von<br />
ihm vertretenen Glei<strong>ch</strong>heitsideals verstehen, das Minimalstaatsstreben des libertären<br />
Individualisten nur vor dem Hintergrund seines individualistis<strong>ch</strong> geprägten Freiheitsideals.<br />
Zwis<strong>ch</strong>en den beiden kann dagegen keine sinnvolle Kommunikation<br />
über Ideale stattfinden, weil kein kleinster gemeinsamer Nenner existiert. Es fehlt bereits<br />
die Grundlage, auf <strong>der</strong> ein Verglei<strong>ch</strong> aufgebaut werden könnte.<br />
333 Vgl. grundsätzli<strong>ch</strong> zum methodis<strong>ch</strong>en Problem <strong>der</strong> Inkommensurabilität – dort am Beispiel <strong>der</strong><br />
Unglei<strong>ch</strong>artigkeit von Satz-Regelsystemen – J.-F. Lyotard, Der Wi<strong>der</strong>streit (1983), S. 215 ff. Lyotard<br />
reformuliert und verallgemeinert den Sein-Sollens-Fehls<strong>ch</strong>luß als Problem <strong>der</strong> Inkommensurabilität<br />
kognitiver und präskriptiver Sätze. Zum Fehls<strong>ch</strong>luß unten S. 261, Fn. 5.<br />
334 Gegenüberstellung bei J.P. Sterba, How to Make People Just (1988), S. 11 ff.; <strong>der</strong>s., Reconciling<br />
Conceptions of Justice (1995), S. 1 ff. Zur Kritik an dieser Gegenüberstellung siehe C.C. Gould,<br />
Comments on Reconciling Conceptions of Justice (1995), S. 53 ff.<br />
335 Vgl. J.P. Sterba, Reconciling Conceptions of Justice (1995), S. 1 ff. – Inkommensurabilität von fünf<br />
politis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sverständnissen (libertär, sozialistis<strong>ch</strong>, wohlfahrtsstaatli<strong>ch</strong>, feministis<strong>ch</strong>,<br />
kommunitaristis<strong>ch</strong>); zuvor bereits <strong>der</strong>s., How to Make People Just (1988), S. 11 ff.<br />
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