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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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fassunggebung, Gesetzgebung und Gesetzesanwendung sind – an<strong>der</strong>s als die erste<br />

Stufe – inhaltli<strong>ch</strong> ausfüllungsbedürftig; nur die obersten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien<br />

werden in Rawls Theorie mit Bestimmtheit gewählt, im übrigen ist die Auswahl einer<br />

Verfassung, die Verabs<strong>ch</strong>iedung von Gesetzen und ihre Anwendung ungewiß. Mit<br />

dieser Indeterminanz <strong>der</strong> Stufen geht eine Indeterminanz <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> einher 384 .<br />

Der Berei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Indeterminanz bietet Raum für quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>:<br />

Verfassung, Gesetze und Gesetzesanwendung sind gere<strong>ch</strong>t, solange sie den<br />

dur<strong>ch</strong> die vorausliegende Stufe abgesteckten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>srahmen einhalten 385 .<br />

e) Ergebnisse<br />

Zusammenfassend kann Rawls 'Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' als eine Sozialvertragstheorie<br />

gekennzei<strong>ch</strong>net werden, die bei sehr genauer Bes<strong>ch</strong>reibung <strong>der</strong> Grundposition<br />

unter Anwendung ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong>er und intuitiver Überlegungen zu<br />

abstrakten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgrundsätzen führt, die ans<strong>ch</strong>ließend in einem weiterhin am<br />

Sozialvertrag orientierten Konkretisierungsverfahren zu einer gere<strong>ch</strong>ten Sozialordnung<br />

ausgebaut werden. Im Spektrum <strong>der</strong> Sozialvertragstheorien ist dieser Ansatz<br />

wegen des Differenzprinzips als wohlfahrtsstaatli<strong>ch</strong> o<strong>der</strong> sozialliberal zu kennzei<strong>ch</strong>nen.<br />

2. Theorie des politis<strong>ch</strong>en Liberalismus (J. Rawls 1993)<br />

Mit <strong>der</strong> neueren <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie knüpft Rawls an die Ergebnisse seiner älteren<br />

Theorie an, die ihn im Spektrum <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophien zu einer egalitären Variante<br />

des Liberalismus geführt hatten 386 . Er widmet si<strong>ch</strong> aber ni<strong>ch</strong>t mehr den Feinheiten<br />

<strong>der</strong> Wahl von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien im Urzustand, son<strong>der</strong>n greift das Element<br />

des übergreifenden Konsenses (overlapping consensus) auf, das in <strong>der</strong> älteren<br />

Theorie ein S<strong>ch</strong>attendasein geführt hatte, um es nun zu einem S<strong>ch</strong>lüsselelement <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung auszubauen. Letztli<strong>ch</strong> geht es ihm darum, die politis<strong>ch</strong>e<br />

Mögli<strong>ch</strong>keit und die Sinnhaftigkeit des egalitären Liberalismus zu zeigen, wie er ihn<br />

mit '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Fairneß' skizziert hatte 387 . An die Stelle des primär normativen<br />

Anspru<strong>ch</strong>s, gestützt dur<strong>ch</strong> das Gedankenexperiment des Urzustands (original position)<br />

und <strong>der</strong> Wissensvers<strong>ch</strong>leierung (veil of ignorance), tritt die re<strong>ch</strong>tfertigende Bes<strong>ch</strong>reibung<br />

dessen, was in einer pluralistis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft stabilitätsbildend sein<br />

kann 388 .<br />

384 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 31, S. 201: »[I]t is not always clear whi<strong>ch</strong> of several constitutions,<br />

or economic and social arrangements, would be <strong>ch</strong>osen. But when this is so, justice is to that<br />

extent likewise indeterminate.«<br />

385 Dazu oben S. 128 ff. (quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

386 J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 6 f.: »[T]here are many variant liberalisms ... the two principles<br />

express an egalitarian form of liberalism ... I presuppose throughout these lectures the same<br />

egalitarian conception of justice as before«.<br />

387 Dazu das Kapitel 'How is Political Liberalism Possible?' in J. Rawls, Political Liberalism (1993), S. 134<br />

ff.<br />

388 So au<strong>ch</strong> P. S<strong>ch</strong>nepel, Liberalismus als Theorie <strong>der</strong> amerikanis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft (1992), S. 151.<br />

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