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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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Zusammenfassend kann am Beispiel <strong>der</strong> Rawlss<strong>ch</strong>en Theorie festgehalten werden:<br />

Das Modell des Sozialvertrags bietet allein keine überzeugende Grundlage für<br />

die Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Eine freistehende Prinzipienkonstruktion <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> mag eine überzeugen<strong>der</strong>e Begründung ermögli<strong>ch</strong>en, harrt aber no<strong>ch</strong><br />

einer inhaltli<strong>ch</strong>en Ausarbeitung. Bisher können we<strong>der</strong> Rawls <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie,<br />

no<strong>ch</strong> die Versu<strong>ch</strong>e zu ihrer Rettung überzeugen.<br />

4. Zur Kritik an T.M. Scanlon, B. Barry und T. Nagel<br />

Was bei Rawls '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Fairneß' stellvertretend für alle Vertragstheorien kritisiert<br />

wurde, daß sie si<strong>ch</strong> nämli<strong>ch</strong> dem Problem konstruktiver Beliebigkeit ausgesetzt<br />

sehen, weil sie in den Ur- o<strong>der</strong> Naturzustand bereits substantielle Annahmen<br />

aufnehmen, die das Ergebnis präjudizieren, kann au<strong>ch</strong> für die <strong>Theorien</strong> von Scanlon,<br />

Barry und Nagel belegt werden. Beim Scanlon-Kriterium (T S ) hat si<strong>ch</strong> gezeigt, daß die<br />

'Unerzwungenheit' in einem (aus <strong>der</strong> Formulierung selbst ni<strong>ch</strong>t ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en) egalitären<br />

Sinn gemeint ist; eine s<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>ere Verhandlungsposition einzelner Teilnehmer ist<br />

ni<strong>ch</strong>t erlaubt. Scanlon sagt ni<strong>ch</strong>ts darüber, ob eine vernünftigerweise ni<strong>ch</strong>t zurückweisbare<br />

Vereinbarung mögli<strong>ch</strong> ist, wenn die Voraussetzung <strong>der</strong> glei<strong>ch</strong>en Verhandlungsma<strong>ch</strong>t<br />

fehlt. Man wird angesi<strong>ch</strong>ts des Gewi<strong>ch</strong>ts, das dieses egalitäre Element<br />

hat, wohl annehmen müssen, daß T S ni<strong>ch</strong>t länger als hinrei<strong>ch</strong>endes Abgrenzungskriterium<br />

zwis<strong>ch</strong>en Ungere<strong>ch</strong>tigkeit und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> angesehen werden kann, wenn<br />

die Ausgangspositionen unglei<strong>ch</strong> sind. Dadur<strong>ch</strong> aber wird die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung<br />

bei Scanlon ähnli<strong>ch</strong> zirkulär wie bei Rawls: <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong><br />

Unabweisbarkeit, die wie<strong>der</strong>um nur bei Glei<strong>ch</strong>heit gilt, also unter Bedingungen, die<br />

eines <strong>der</strong> Kernelemente <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bereits enthalten 135 . Indem Barry auf das<br />

Scanlon-Kriterium zurückgreift, setzt si<strong>ch</strong> seine Theorie <strong>der</strong>selben Kritik aus. Entspre<strong>ch</strong>endes<br />

gilt für Nagels Theorie; hier verbirgt si<strong>ch</strong> die Voraussetzung <strong>der</strong> Egalität<br />

in <strong>der</strong> 'vernünftigen' Parteili<strong>ch</strong>keit 136 .<br />

II.<br />

Zur Kritik <strong>der</strong> Standpunkttheorien<br />

Beoba<strong>ch</strong>ter- und an<strong>der</strong>e Standpunkttheorien unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> von Sozialvertragsund<br />

Diskurstheorien zentral dadur<strong>ch</strong>, daß sie bei <strong>der</strong> Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

auf eine dialogis<strong>ch</strong>e Argumentation verzi<strong>ch</strong>ten. Auf die Frage, was eine Handlung<br />

gere<strong>ch</strong>t ma<strong>ch</strong>t, geben sie eine monologis<strong>ch</strong> konzipierte Antwort. Als gere<strong>ch</strong>t ist dana<strong>ch</strong><br />

das anzusehen, was eine einzelne Person na<strong>ch</strong> reifli<strong>ch</strong>er Überlegung als ri<strong>ch</strong>tig<br />

erkennt. Die Analyse und Kritik <strong>der</strong> Standpunkttheorien kann bei <strong>der</strong> Frage ansetzen,<br />

ob gute Gründe besser dur<strong>ch</strong> dialogis<strong>ch</strong> konzipierte o<strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> monologis<strong>ch</strong><br />

konzipierte Kriterien identifiziert werden können. Die Antwort auf diese Frage soll<br />

auf den hier interessierenden Berei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft bes<strong>ch</strong>ränkt bleiben;<br />

sie kann in zwei S<strong>ch</strong>ritten gegeben werden. In einem ersten S<strong>ch</strong>ritt ist zu zeigen, was<br />

eine monologis<strong>ch</strong>e von einer dialogis<strong>ch</strong>en Konzeption praktis<strong>ch</strong>er Vernunft unters<strong>ch</strong>eidet.<br />

Erst dann kann als Kritik an den Standpunkttheorien begründet werden,<br />

135 Vgl. oben S. 56 ff. (Glei<strong>ch</strong>heitsbezug <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

136 Dazu oben S. 214 ('vernünftige' Parteili<strong>ch</strong>keit).<br />

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