Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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konstituiert: quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> besteht nur, soweit die Lösungen,<br />
zwis<strong>ch</strong>en denen im Verfahren gewählt wird, alle gere<strong>ch</strong>t im Sinne <strong>der</strong> übergeordneten<br />
Stufe <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung sind. Wählt <strong>der</strong> Gesetzgeber dagegen eine<br />
Gesetzesfassung, die im Li<strong>ch</strong>te übergeordneter <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien ni<strong>ch</strong>t bestehen<br />
kann, so fehlt es an einer Anwendungsbedingung <strong>der</strong> quasi-reinen prozeduralen<br />
<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Die Wahlents<strong>ch</strong>eidung des Gesetzgebers ist dann ni<strong>ch</strong>t mehr prozedural<br />
gere<strong>ch</strong>t.<br />
Von <strong>der</strong> dienenden Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> die quasi-reine<br />
dadur<strong>ch</strong>, daß das gere<strong>ch</strong>te Ergebnis vor <strong>der</strong> Verfahrensdur<strong>ch</strong>führung no<strong>ch</strong> unbestimmt<br />
ist. Von <strong>der</strong> reinen Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> die quasi-reine<br />
dadur<strong>ch</strong>, daß die Definitionswirkung nur bedingt eintritt. Worin besteht angesi<strong>ch</strong>ts<br />
dieser Unbestimmtheit und Bedingtheit überhaupt die 'För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> substantiellen<br />
<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' im Sinne von D 3 ? Sie liegt darin, daß das Verfahren ni<strong>ch</strong>t nur aus <strong>der</strong><br />
unbestimmten Vielzahl mögli<strong>ch</strong>er Ergebnisse eines auswählt (Definitionswirkung),<br />
son<strong>der</strong>n in aller Regel als Folge <strong>der</strong> Verfahrensbedingungen au<strong>ch</strong> zur Wahl eines Ergebnisses<br />
führt, das innerhalb des übergeordneten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>srahmens liegt. Im<br />
Beispiel: Die öffentli<strong>ch</strong>e Parlamentsdebatte führt in <strong>der</strong> Regel zu verfassungskonformen<br />
Gesetzen. Das Ergebnis wird dadur<strong>ch</strong> prima facie – vorbehaltli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>legung<br />
– als gere<strong>ch</strong>t definiert.<br />
IV. Die Funktionen prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (Multifunktionsthese)<br />
Das Konzept <strong>der</strong> prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> wird mit ganz unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Funktionen<br />
in Re<strong>ch</strong>tsdogmatik und Re<strong>ch</strong>tstheorie eingesetzt (Multifunktionsthese). Das<br />
folgt aus <strong>der</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Eignung <strong>der</strong> vier Formen für die Begründung und<br />
Erzeugung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>.<br />
1. Dienende Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit<br />
Betra<strong>ch</strong>ten wir zunä<strong>ch</strong>st die Formen <strong>der</strong> dienenden Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit, so fällt<br />
auf, daß beide ein Kriterium außerhalb des Verfahrens voraussetzen, meist ein Prinzip<br />
<strong>der</strong> Verteilungsgere<strong>ch</strong>tigkeit, mit dem si<strong>ch</strong> die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> des Ergebnisses unabhängig<br />
von <strong>der</strong> Dur<strong>ch</strong>führung des Verfahrens beurteilen läßt. Vollkommene und<br />
unvollkommene prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> wirken nur instrumentell zur Verfolgung<br />
verfahrensextern gere<strong>ch</strong>tfertigter Ziele 408 . Sie haben keine Begründungs-, son<strong>der</strong>n<br />
nur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungsfunktion, indem sie helfen, an<strong>der</strong>weitig begründete <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />
in <strong>der</strong> Realität zu bewirken. Man muß s<strong>ch</strong>on vorher wissen, was gere<strong>ch</strong>t<br />
ist (Glei<strong>ch</strong>verteilung <strong>der</strong> Torte, Verurteilung nur <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>uldigen), und nutzt das Verfahren<br />
dann ledigli<strong>ch</strong>, um dieses verfahrensextern begründete gere<strong>ch</strong>te Ergebnis tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />
zu errei<strong>ch</strong>en. Das Verfahren hat nur na<strong>ch</strong>geordnete, 'dienende' Funktion 409 .<br />
408 Zum grundlegenden Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en externer und interner Re<strong>ch</strong>tfertigung – allerdings dort<br />
bezogen auf Unglei<strong>ch</strong>behandlungen und den allgemeinen Glei<strong>ch</strong>heitssatz – vgl. S. Huster, Re<strong>ch</strong>te<br />
und Ziele (1993), S. 165 ff.<br />
409 A. Ts<strong>ch</strong>ents<strong>ch</strong>er, Function of Procedural Justice (1997), S. 108 ff.<br />
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