Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Zielerrei<strong>ch</strong>ung an<strong>der</strong>weitig begründeter Ziele. Beispielweise liegt eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorie<br />
vor, wenn die Verfahrensbedingungen bestimmt werden, unter<br />
denen die Verurteilung s<strong>ch</strong>uldiger Straftäter (und nur <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>uldigen) am besten<br />
gelingt. Au<strong>ch</strong> die demokratis<strong>ch</strong>e Wahlre<strong>ch</strong>tstheorie (wie die Theorie des demokratis<strong>ch</strong>en<br />
Verfassungsstaates insgesamt) 232 ist eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorie, <strong>der</strong>en<br />
<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>smaßstab (Selbstregierung <strong>der</strong> Betroffenen dur<strong>ch</strong> legitimierte Vertreter)<br />
bereits feststeht. Selbst eine Theorie <strong>der</strong> Vertragsfreiheit, die die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />
privatautonomer, ni<strong>ch</strong>t staatli<strong>ch</strong>er Re<strong>ch</strong>tserzeugung betrifft, ist <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorie<br />
233 .<br />
In allen diesen Beispielen besteht unabhängig vom Verfahren ein Maßstab für die<br />
<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> des Ergebnisses (S<strong>ch</strong>uld des Straftäters, Repräsentation <strong>der</strong> Gewählten,<br />
Verwirkli<strong>ch</strong>ung von Privatautonomie). Dur<strong>ch</strong> die Abhängigkeit von sol<strong>ch</strong>en Maßstäben<br />
ist die Erzeugung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> stets auf die Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteilen<br />
angewiesen. In jedem konkreten Einzelfall des gere<strong>ch</strong>ten Handelns<br />
muß zunä<strong>ch</strong>st bestimmt werden, was überhaupt als gültiger Grund für o<strong>der</strong> gegen<br />
ein <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteil anerkannt werden soll, warum also ein Täter bestraft, ein<br />
Bürger repräsentiert o<strong>der</strong> ein Vertrag ges<strong>ch</strong>lossen werden darf. Eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>serzeugungstheorie<br />
ist dadur<strong>ch</strong> mittelbar eine 'Theorie über das Anführen von Gründen<br />
für o<strong>der</strong> gegen die Behauptung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>' im Sinne von D 2 , also eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />
im Sinne <strong>der</strong> Definition. Die Differenzierung zwis<strong>ch</strong>en Begründungs-<br />
und Erzeugungstheorien erweist si<strong>ch</strong> dabei als Ergänzung, ni<strong>ch</strong>t als Alternative<br />
zu <strong>der</strong> Klassifizierung na<strong>ch</strong> Grundpositionen. Denn die Grundpositionen kennzei<strong>ch</strong>nen<br />
das unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Vernunftkonzept bei <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung – ein<br />
Konzept, auf das neben den Begründungstheorien au<strong>ch</strong> die Erzeugungstheorien <strong>der</strong><br />
<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> mittelbar angewiesen sind.<br />
c) Naturre<strong>ch</strong>ts- und Vernunftre<strong>ch</strong>tstheorien<br />
Eine grundlegende Unters<strong>ch</strong>eidung aus <strong>der</strong> Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />
ist diejenige zwis<strong>ch</strong>en Naturre<strong>ch</strong>ts- und Vernunftre<strong>ch</strong>tstheorien. Die<br />
historis<strong>ch</strong>e Wurzel dessen, was zu den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien im Sinne von D 2 gehört,<br />
sind die Naturre<strong>ch</strong>tslehren 234 . Der Begriff des Naturre<strong>ch</strong>ts (ius naturae, lex natu-<br />
(Handlungs-)Verfahren und betra<strong>ch</strong>tet den 'heuristis<strong>ch</strong>en Wert' zudem als einzige Leistung <strong>der</strong><br />
prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien, da er eine eigenständige Begründungsleistung ni<strong>ch</strong>t anerkennt<br />
und die prozeduralen <strong>Theorien</strong> ledigli<strong>ch</strong> als 'Stimmigkeits- o<strong>der</strong> Plausibilitätskontrolle' für<br />
dienli<strong>ch</strong> hält.<br />
232 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 113.<br />
233 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 107, 114.<br />
234 Die Einzelheiten <strong>der</strong> Genese von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien aus Naturre<strong>ch</strong>tslehren können hier ni<strong>ch</strong>t<br />
behandelt werden. Vgl. dazu H. Welzel, Naturre<strong>ch</strong>t und materiale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1962), S. 108 ff.;<br />
J. Finnis, Natural Law and Natural Rights (1980), S. 64 ff., 86 ff. (seven self-evident basic values); L.L.<br />
Weinreb, Natural Law and Justice (1987), S. 43 ff., 225 ff. sowie die Beiträge in D. Mayer-<br />
Maly/P.M. Simons (Hrsg.), Das Naturre<strong>ch</strong>tsdenken heute und morgen (1983). Speziell zur Vorgehensweise<br />
<strong>der</strong> Naturre<strong>ch</strong>tslehren R. Hittinger, A Critique of the New Natural Law Theory<br />
(1987), S. 10 ff., 155 ff.; O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 88 ff. Eine religiös-materiale und<br />
in diesem Sinne 'naturre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e' Theorie formuliert beispielsweise E. Brunner, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />
(1943), S. 54 ff. Vgl. außerdem oben Fn. 16 (Naturre<strong>ch</strong>t versus Re<strong>ch</strong>tspositivismus).<br />
89