Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
einer anerkannten Trennungslinie zwis<strong>ch</strong>en mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Interessensphären 232 .<br />
Daraus entstehen zwangsläufig Konflikte: Gibt es beispielsweise in einer geda<strong>ch</strong>ten<br />
Welt mit zwei Mens<strong>ch</strong>en nur einen einzigen Obstbaum, so fehlt jedes Kriterium dafür,<br />
wer wann wel<strong>ch</strong>e Frü<strong>ch</strong>te beanspru<strong>ch</strong>en darf. Ni<strong>ch</strong>t zwangsläufig gewinnt immer<br />
<strong>der</strong> Stärkere. Au<strong>ch</strong> wer in körperli<strong>ch</strong>er Auseinan<strong>der</strong>setzung <strong>ch</strong>ancenrei<strong>ch</strong> ist,<br />
könnte mangels Ausdauer o<strong>der</strong> Wa<strong>ch</strong>samkeit unterliegen 233 . In einer geda<strong>ch</strong>ten<br />
Zweipersonenwelt vers<strong>ch</strong>wenden die Beteiligten ihre Energie. Sie sind so sehr mit<br />
<strong>der</strong> Organisation und Verteidigung ihres Vorteils bes<strong>ch</strong>äftigt, daß die Zeit unbeeinträ<strong>ch</strong>tigten<br />
Genusses gering bleibt. Bu<strong>ch</strong>anan argumentiert deshalb, daß s<strong>ch</strong>on in einer<br />
geda<strong>ch</strong>ten Welt mit zwei Personen die vertragli<strong>ch</strong>e Abgrenzung <strong>der</strong> individuellen<br />
Handlungsberei<strong>ch</strong>e für alle besser ist als eine natürli<strong>ch</strong>e Verteilung 234 . Zur Konfliktvermeidung<br />
seien darum Eigentumsre<strong>ch</strong>te und Vertragsfreiheit festzulegen und<br />
von einer staatli<strong>ch</strong>en Zwangsgewalt zu si<strong>ch</strong>ern. Erst dur<strong>ch</strong> Eigentumsre<strong>ch</strong>te und<br />
Vertragsfreiheit wird die Begründung ökonomis<strong>ch</strong>er Austaus<strong>ch</strong>beziehungen mögli<strong>ch</strong>,<br />
die ihrerseits dem unerrei<strong>ch</strong>baren Ideal einer geordneten Anar<strong>ch</strong>ie am nä<strong>ch</strong>sten<br />
kommen und darum die Grundlage einer optimalen sozialen Ordnung bilden. Insoweit<br />
besteht die rationale Notwendigkeit für einen im übrigen neutralen, protektiven<br />
Staat.<br />
b) Das Drohspiel als Sozialvertrag<br />
Bu<strong>ch</strong>anan entwirft einen zweistufigen Sozialvertrag: Der konstitutionelle Vertrag <strong>der</strong><br />
ersten Stufe verteilt einen Gütergrundbestand und regelt die Re<strong>ch</strong>te <strong>der</strong> Beteiligten<br />
daran. Der postkonstitutionelle Vertrag <strong>der</strong> zweiten Stufe regelt den Austaus<strong>ch</strong> privater<br />
und die Bereitstellung öffentli<strong>ch</strong>er Güter (public goods).<br />
Für den konstitutionellen Vertrag sind na<strong>ch</strong> Bu<strong>ch</strong>anan die unglei<strong>ch</strong>en Neigungen<br />
und Fähigkeiten <strong>der</strong> Beteiligten zu berücksi<strong>ch</strong>tigen. Jedem Individuum kommen eigene<br />
Präferenz- und Produktionsfunktionen zu. Läßt man diese Funktionen in einer<br />
Welt knapper Ressourcen zunä<strong>ch</strong>st ohne Bes<strong>ch</strong>ränkung in einer vorvertragli<strong>ch</strong>en<br />
Phase aufeinan<strong>der</strong>prallen, so stellt si<strong>ch</strong> ein Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>tszustand ein, bei dem keine<br />
Person einen Anreiz hat, ihr Verhalten zu än<strong>der</strong>n. Dieser Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>tszustand<br />
enthält die natürli<strong>ch</strong>e Güterverteilung in <strong>der</strong> Anar<strong>ch</strong>ie. Das Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t kann au<strong>ch</strong><br />
darin bestehen, daß einzelne Mens<strong>ch</strong>en getötet o<strong>der</strong>, gewissermaßen als mil<strong>der</strong>es<br />
Mittel zu ihrer Verni<strong>ch</strong>tung, dur<strong>ch</strong> einen Sklavereivertrag verpfli<strong>ch</strong>tet werden, für<br />
die Herrs<strong>ch</strong>enden Dienste zu leisten 235 . Der Glei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>tszustand bildet einen<br />
Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt, <strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> die Entwaffnung im Rahmen <strong>der</strong> konstitutionellen<br />
232 J.M. Bu<strong>ch</strong>anan, Limits of Liberty (1975), S. 198 wendet si<strong>ch</strong> insbeson<strong>der</strong>e gegen den von Locke behaupteten<br />
Anspru<strong>ch</strong> auf natürli<strong>ch</strong>e Produkte und die Frü<strong>ch</strong>te <strong>der</strong> eigenen Arbeit.<br />
233 Vgl. das Argument bei T. Hobbes, Leviathan (1651), Kapitel 13: »Nature has made men so equall, ...<br />
the weakest has strength enough to kill the strongest, either by secret ma<strong>ch</strong>ination, or by confe<strong>der</strong>acy<br />
with others«. Die spätere Bedeutung des Arguments folgte vor allem daraus, daß sie als<br />
Grundlage für das Konsensgebot galt; vgl. D. Hume, On the Original Contract (1741), S. 357:<br />
»When we consi<strong>der</strong> how nearly equal all men are in their bodily force, and even in their mental<br />
powers and faculties, till cultivated by education, we must necessarily allow that nothing but their<br />
own consent could at first associate them together and subject them to any authority.«<br />
234 J.M. Bu<strong>ch</strong>anan, Limits of Liberty (1975), S. 192.<br />
235 J.M. Bu<strong>ch</strong>anan, Limits of Liberty (1975), S. 60 ff.<br />
178