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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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heitsbezogener Ri<strong>ch</strong>tigkeit, und nimmt insoweit eine Abwei<strong>ch</strong>ung vom glei<strong>ch</strong>heitsbezogenen<br />

Begriff im klassis<strong>ch</strong>-aristotelis<strong>ch</strong>en Verständnis und im allgemeinen Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong><br />

in Kauf. <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im weiten Sinn ist die Ri<strong>ch</strong>tigkeit und Pfli<strong>ch</strong>tigkeit eines<br />

Handelns in bezug auf an<strong>der</strong>e.<br />

Zur Bestimmung eines weiten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs, wie ihn <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

erfor<strong>der</strong>n, muß <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heitsbezug in <strong>der</strong> Definition indes ni<strong>ch</strong>t ganz aufgegeben<br />

werden. Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdefinition in D 1 kann in einer Weise verstanden werden,<br />

die den Glei<strong>ch</strong>heitsbezug aufre<strong>ch</strong>terhält und denno<strong>ch</strong> für die Analyse von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

taugli<strong>ch</strong> ist. Das hat den Vorteil, daß <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff,<br />

<strong>der</strong> für die Analyse von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien bestimmt wird, ni<strong>ch</strong>t in Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong><br />

zur klassis<strong>ch</strong>en und umgangsspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Wortbedeutung gerät. Der interpretatoris<strong>ch</strong>e<br />

Weg hierzu wurde in dem obigen Beispiel eines Anspru<strong>ch</strong>s auf eine Dankesfeier<br />

bereits angedeutet. Läßt man nämli<strong>ch</strong> jede Regelhaftigkeit als Ausdruck von Glei<strong>ch</strong>heit<br />

genügen, so wird alles Handeln mit Sozialbezug, für das irgendwel<strong>ch</strong>e Normen<br />

gelten o<strong>der</strong> gelten sollten, dem <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteil zugängli<strong>ch</strong> 90 . Um bei dem Beispiel<br />

zu bleiben: Die Helfer können das Ausbleiben einer Dankesfeier s<strong>ch</strong>on dann als<br />

ungere<strong>ch</strong>t bezei<strong>ch</strong>nen, wenn es eine soziale Norm gibt, na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> sie stattfinden müßte.<br />

Entspre<strong>ch</strong>endes ergibt si<strong>ch</strong> für Normen des positiven Re<strong>ch</strong>ts: Wann immer Re<strong>ch</strong>te<br />

und Pfli<strong>ch</strong>ten festgelegt werden, besteht ein Glei<strong>ch</strong>heitsbezug bereits darin, daß<br />

diese Normen innerhalb eines gewissen Adressatenkreises für alle glei<strong>ch</strong> gelten. So<br />

gesehen hat das gesamte positive Re<strong>ch</strong>t einen Glei<strong>ch</strong>heitsbezug im Sinne von D 1 und<br />

damit <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>srelevanz. Selbst jenseits des positiven Re<strong>ch</strong>ts können Normen<br />

<strong>der</strong> Moral geltend gema<strong>ch</strong>t und dadur<strong>ch</strong> Glei<strong>ch</strong>behandlungen eingefor<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> Unglei<strong>ch</strong>behandlungen<br />

gerügt werden. So hat beispielsweise die Idee universeller<br />

Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te einen Glei<strong>ch</strong>heitsbezug im Sinne von D 1 und damit <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>srelevanz.<br />

Der Glei<strong>ch</strong>heitsbezug in D 1 bedeutet ni<strong>ch</strong>t, daß <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff von<br />

vornherein etwas mit materieller Glei<strong>ch</strong>heit zu tun hätte. So for<strong>der</strong>t <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on begriffli<strong>ch</strong> die glei<strong>ch</strong>mäßige Berücksi<strong>ch</strong>tigung aller Interessen 91 . Sol<strong>ch</strong>erlei<br />

materielle Kriterien bleiben einer Konkretisierung <strong>der</strong> 'Ri<strong>ch</strong>tigkeit' vorbehalten,<br />

sie gehören ni<strong>ch</strong>t bereits zum Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Es gibt au<strong>ch</strong> keinen Anlaß,<br />

materielle Anfor<strong>der</strong>ungen an den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff so zu formulieren, daß einzelne<br />

<strong>Theorien</strong> s<strong>ch</strong>on definitoris<strong>ch</strong> aus dem Kreis <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien verbannt<br />

werden 92 . Das hier vorges<strong>ch</strong>lagene Verständnis des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs benutzt<br />

eine inhaltsoffene, weite Interpretation des Glei<strong>ch</strong>heitsbezugs. Trotzdem besteht<br />

keine Gefahr, alle Moralfragen in sol<strong>ch</strong>e <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> umzudeuten 93 , denn<br />

die wi<strong>ch</strong>tige Differenzierung zwis<strong>ch</strong>en sozialbezogenen Handlungsnormen (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>)<br />

und Handlungsanweisungen insgesamt (Moral) bleibt in jedem Fall erhalten<br />

94 .<br />

90 Vgl. unten S. 71 ff. (Normbegriff und normbezogene <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdefinition).<br />

91 So aber S. Huster, Re<strong>ch</strong>te und Ziele (1993), S. 204.<br />

92 So aber O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 74 ff. – Utilitarismus könne s<strong>ch</strong>on den Begriff<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ni<strong>ch</strong>t erfassen.<br />

93 Zu dieser Gefahr mit Re<strong>ch</strong>t kritis<strong>ch</strong> S. Huster, Re<strong>ch</strong>te und Ziele (1993), S. 204 f. mit Fn. 158.<br />

94 Dazu oben S. 55 (Sozialbezug).<br />

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