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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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sowie in <strong>der</strong> Erhebung des Marktes zu einer zentralen sozialen Institution – eine systematis<strong>ch</strong>e<br />

Ablehnung von Traditionen aus und müßten deshalb »einfa<strong>ch</strong> verworfen<br />

werden« 143 .<br />

3. Multikultureller Kommunitarismus (C. Taylor)<br />

Der Kommunitarismus Charles Taylors 144 , <strong>der</strong> in seinem Verständnis mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er<br />

Identität au<strong>ch</strong> 'romantis<strong>ch</strong>' genannt werden könnte 145 , verdient das Attribut 'multikulturell'<br />

vor allem, weil Taylor zu diesem Thema, soweit ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>, das detaillierteste<br />

Anwendungsbeispiel formuliert hat 146 . Die Liberalismuskritik Taylors ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong><br />

gegen die 'desengagierte Vernunft', d.h. gegen die Unterwerfung aller Gefühle und<br />

Leidens<strong>ch</strong>aften unter die Vernunft, die dadur<strong>ch</strong> zur alleinigen Quelle <strong>der</strong> Moral<br />

wird 147 . Desengagierte Vernunft bedeutet na<strong>ch</strong> Taylor au<strong>ch</strong> eine Ans<strong>ch</strong>auung des<br />

Subjekts als unsituiertes, punktförmiges Selbst. Eine sol<strong>ch</strong>e Grundhaltung verortet er<br />

beispielsweise in den Darstellungs- und Denkfiguren <strong>der</strong> körperlosen Seele bei Descartes,<br />

<strong>der</strong> punktförmigen Kraft <strong>der</strong> Selbstwie<strong>der</strong>herstellung bei Locke und dem reinen<br />

Vernunftwesen bei Kant 148 . Mit <strong>der</strong> Kritik an <strong>der</strong> desengagierten Vernunft verbindet<br />

si<strong>ch</strong> bei Taylor die ents<strong>ch</strong>iedene Ablehnung sowohl des Utilitarismus 149 als<br />

au<strong>ch</strong> aller prozeduralen <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft 150 .<br />

Taylor zeigt am Beispiel des Multikulturalismus, zu wel<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>ieden die<br />

kommunitaristis<strong>ch</strong>e Si<strong>ch</strong>tweise gegenüber dem herrs<strong>ch</strong>enden Liberalismus in konkreten<br />

Fragen <strong>der</strong> sozialen Ordnung führen kann. So birgt das Eintreten für kollektive<br />

Ziele, d.h. insbeson<strong>der</strong>e au<strong>ch</strong> für gemeinsame Traditionen, immer die Gefahr in<br />

si<strong>ch</strong>, daß Grundre<strong>ch</strong>te an<strong>der</strong>er beeinträ<strong>ch</strong>tigt werden 151 . Das vorherrs<strong>ch</strong>ende Verständnis<br />

des Liberalismus ('Liberalismus 1' 152 ) geht deshalb davon aus, daß die Individualre<strong>ch</strong>te<br />

zusammen mit Diskriminierungsverboten stets Vorrang vor kollektiven<br />

143 A. MacIntyre, Verlust <strong>der</strong> Tugend (1984), S. 339.<br />

144 Der hier dargestellte Kommunitarismus Charles Taylors sollte ni<strong>ch</strong>t verwe<strong>ch</strong>selt werden mit demjenigen<br />

Mi<strong>ch</strong>ael Taylors, dessen For<strong>der</strong>ung na<strong>ch</strong> einem Erstarken <strong>der</strong> small communities si<strong>ch</strong> vor allem<br />

aus einer grundsätzli<strong>ch</strong>en Ablehnung <strong>der</strong> Staatli<strong>ch</strong>keit speist (anar<strong>ch</strong>istis<strong>ch</strong>er Kommunitarismus);<br />

vgl. M. Taylor, Anar<strong>ch</strong>y and Cooperation (1976), S. 132 ff. (destruction of small communities);<br />

<strong>der</strong>s., Community, Anar<strong>ch</strong>y, and Liberty (1982). Dazu unten S. 333 ff. (Institutionalisierung<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und die Thesen von M. Taylor).<br />

145 Vgl. nur die zahlrei<strong>ch</strong>en Bezugnahmen auf das Identitätsverständnis <strong>der</strong> Romantik in C. Taylor,<br />

Quellen des Selbst (1994), S. 729 ff., 869, 875; kritis<strong>ch</strong> gegenüber bestimmten neoromantis<strong>ch</strong>en<br />

Auffassungen aber S. 79.<br />

146 C. Taylor, Multikulturalismus (1992), S. 13 ff.<br />

147 C. Taylor, Quellen des Selbst (1994), S. 262 ff. (275 f.), 869.<br />

148 C. Taylor, Quellen des Selbst (1994), S. 887 f.<br />

149 C. Taylor, Quellen des Selbst (1994), S. 871.<br />

150 Die »prozedurale Auffassung des Ri<strong>ch</strong>tigen« sei ein »Übel«: C. Taylor, Quellen des Selbst (1994),<br />

S. 867 f.<br />

151 C. Taylor, Multikulturalismus (1992), S. 47 f.<br />

152 Diese vereinfa<strong>ch</strong>ende Referenzierung als Liberalismus 1 und 2 wird hier übernommen von<br />

M. Walzer, Kommentar zum Multikulturalismus (1992), S. 109 f.<br />

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