Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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) Institutionalisierte <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />
Im zweiten Teil seiner Theorie verteidigt Höffe die Institutionalisierung in einer<br />
staatsförmigen Re<strong>ch</strong>tsgemeins<strong>ch</strong>aft gegen die These eines Restanar<strong>ch</strong>ismus 330 . Er<br />
führt drei Gründe an, aus denen si<strong>ch</strong> die in <strong>der</strong> natürli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>tsgemeins<strong>ch</strong>aft begründeten<br />
Vorteile ni<strong>ch</strong>t in individueller Verantwortung realisieren lassen. Erstens<br />
entstehen Interpretationskonflikte bei <strong>der</strong> Konkretisierung <strong>der</strong> Freiheitsansprü<strong>ch</strong>e. Innerhalb<br />
dieser Konflikte ist je<strong>der</strong> ein Betroffener und keiner ein s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>thin unparteiis<strong>ch</strong>er<br />
Dritter. Zweitens entsteht ein Anerkennungsdilemma, weil für Trittbrettfahrer<br />
<strong>der</strong> eigene Re<strong>ch</strong>tsungehorsam vorteilhafter ist als <strong>der</strong> Gehorsam, solange eine genügende<br />
Zahl an<strong>der</strong>er si<strong>ch</strong> an die Regeln halten 331 . Drittens gibt es ein <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdilemma<br />
zwis<strong>ch</strong>en Generationen; au<strong>ch</strong> hier fährt am besten, wer si<strong>ch</strong> dem asyn<strong>ch</strong>ronen<br />
Generationentaus<strong>ch</strong>ges<strong>ch</strong>äft entzieht. Die Interpretations- und Dur<strong>ch</strong>setzungskonflikte<br />
können erst in einer Gemeinsamkeit überwunden werden, in <strong>der</strong> ein unparteiis<strong>ch</strong>er<br />
Dritter institutionalisiert wird. Dieser Dritte muß öffentli<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tsma<strong>ch</strong>t im<br />
Sinne eines Gewaltmonopols etablieren, ein Zwangssystem, in dem die individuellen<br />
Zwangsbefugnisse weitestgehend aufgehen. Dur<strong>ch</strong> die Institutionalisierung wird<br />
die 'Genossens<strong>ch</strong>aft' zu einem 'Verband' – es entsteht ein Staat im unte<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>en Sinne<br />
332 . So wandelt si<strong>ch</strong> das Diktum Kants bei Höffe: »Den Staat brau<strong>ch</strong>t selbst ein Volk<br />
von Teufeln – wenn sie nur Verstand haben, das heißt ihrem Vorteil folgen.« 333<br />
c) Subsidiäre Legitimität des Staates<br />
Eine positive Re<strong>ch</strong>ts- und Staatsordnung ist na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Theorie Höffes nur subsidiär legitim<br />
334 . Sie ist notwendig, um Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te zu gewährleisten, aber sie kann diese<br />
ni<strong>ch</strong>t gewähren, son<strong>der</strong>n steht gänzli<strong>ch</strong> im Dienste <strong>der</strong> bereits vorpositiv begründeten<br />
Re<strong>ch</strong>te. Glei<strong>ch</strong>zeitig birgt sie die Gefahr des Ma<strong>ch</strong>tmißbrau<strong>ch</strong>s, <strong>der</strong> mit Strategien politis<strong>ch</strong>er<br />
<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> begegnet werden muß, soll ni<strong>ch</strong>t das Leitziel des Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utzes<br />
verfehlt werden. Die Demokratie als Staatsform garantiert allein no<strong>ch</strong><br />
keinen ausrei<strong>ch</strong>enden S<strong>ch</strong>utz. Positivierungsstrategien müssen zur konkreten Anerkennung<br />
von Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>ten als Grundre<strong>ch</strong>ten führen und eine wirksam kontrollierte<br />
Gewaltenbindung konstituieren – etwa dur<strong>ch</strong> Gewaltenteilung und Verfassungsgeri<strong>ch</strong>tsbarkeit.<br />
Die Positivierung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> vollendet si<strong>ch</strong> dabei ni<strong>ch</strong>t<br />
s<strong>ch</strong>on im Minimalstaat, son<strong>der</strong>n erst in <strong>der</strong>jenigen Sozialstaatli<strong>ch</strong>keit, die Voraussetzung<br />
für die Wahrnehmung demokratis<strong>ch</strong>er Mitwirkungsre<strong>ch</strong>te ist 335 . Der zu in-<br />
330 Dazu und zum folgenden O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 407 ff.<br />
331 Vgl. unten S. 333 ff. (Trittbrettfahrerproblem).<br />
332 Die Abgrenzung vom völker- und verfassungsre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Staatsbegriff ist wi<strong>ch</strong>tig. Vgl. dazu<br />
O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 432: »Die institutionalisierte öffentli<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tsma<strong>ch</strong>t,<br />
die für die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> unentbehrli<strong>ch</strong> ist, brau<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t die Züge des mo<strong>der</strong>nen Staates anzunehmen:<br />
etwa die Territorialherrs<strong>ch</strong>aft und die Zentralisierung sowie Bürokratisierung <strong>der</strong><br />
Staatsgewalten.«<br />
333 O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 433.<br />
334 Dazu und zum folgenden O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 433 ff.<br />
335 Neben dieser demokratiefunktionale Legitimation spri<strong>ch</strong>t Höffe au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> eine re<strong>ch</strong>tsstaatsfunktionale<br />
und institutionstheoretis<strong>ch</strong>e an; siehe dazu O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987),<br />
S. 471 f.<br />
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