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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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diskursiv kontrollieren lassen müßte 75 . Denn hier genügt, daß für die Regierten eine<br />

Chance <strong>der</strong> Einflußnahme besteht. Aber jedenfalls kann si<strong>ch</strong> ein Regieren<strong>der</strong> nur im<br />

Zusammenwirken mit den Betroffenen <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit eines Handelns vergewissern<br />

76 , und es ist für ihn ein pragmatis<strong>ch</strong>es Gebot, daß er eine sol<strong>ch</strong>e Vergewisserung<br />

zumindest gelegentli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> vornimmt. Man könnte dies eine 'minimale Volkssouveränität'<br />

nennen.<br />

Die Anerkennung dreier weiterer Grundsätze ist Voraussetzung dafür, daß eine<br />

diskursive Kontrolle des Regierungshandelns, und sei sie nur gelegentli<strong>ch</strong>, überhaupt<br />

stattfinden kann. Wer einen realen Diskurs über die Regeln <strong>der</strong> sozialen Ordnung<br />

führen will, muß in diesem Diskurs mindestens politis<strong>ch</strong>e Meinungsäußerungsfreiheit,<br />

Existenzbere<strong>ch</strong>tigung und Glei<strong>ch</strong>heit zugestehen, wobei Glei<strong>ch</strong>heit<br />

au<strong>ch</strong> die Einbeziehung aller kommunikationsfähigen Betroffenen bedeutet. Dies<br />

sind diejenigen Anfor<strong>der</strong>ungen aus den Diskursregeln 77 , die si<strong>ch</strong> in jedem realen Diskurs<br />

verwirkli<strong>ch</strong>en lassen, glei<strong>ch</strong>gültig wie dessen sonstige Rahmenbedingungen<br />

aussehen mögen (z.B. Ents<strong>ch</strong>eidungsdruck 78 ). Werden sie ni<strong>ch</strong>t gewährleistet, so ist<br />

die Kommunikation ni<strong>ch</strong>t länger <strong>der</strong> regulativen Idee des idealen Diskurses verpfli<strong>ch</strong>tet.<br />

Sie kann kein Garant praktis<strong>ch</strong>er Ri<strong>ch</strong>tigkeit sein; es handelt si<strong>ch</strong> dann<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr um einen Diskurs 79 . Wer beispielsweise gelegentli<strong>ch</strong> das Gesprä<strong>ch</strong> über<br />

Fragen <strong>der</strong> Sozialordnung su<strong>ch</strong>t, glei<strong>ch</strong>zeitig aber alle Oppositionsführer töten läßt,<br />

ihnen die Meinungsäußerung verbietet o<strong>der</strong> sie sonst von <strong>der</strong> Kommunikation abs<strong>ch</strong>neidet,<br />

<strong>der</strong> kann keinerlei Legitimationswirkung von einem sol<strong>ch</strong>en Gesprä<strong>ch</strong> erwarten.<br />

Mangels Ri<strong>ch</strong>tigkeitsorientierung führt eine Regierung, die dies tut, keinen<br />

Diskurs. Mehr no<strong>ch</strong>: Sie verhält si<strong>ch</strong> insoweit wi<strong>der</strong>sprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>, denn die vier Grundsätze<br />

stellen si<strong>ch</strong> als notwendige Voraussetzungen von Kommunikation und Staatli<strong>ch</strong>keit<br />

dar. Eine Apartheidsregierung o<strong>der</strong> die Regierung einer Sklavereigesells<strong>ch</strong>aft<br />

handelt ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>lüssig, wenn sie einerseits meint, die Ri<strong>ch</strong>tigkeit ihrer sozialen<br />

Ordnung begründen zu können, an<strong>der</strong>erseits aber die unterdrückte Min<strong>der</strong>heit<br />

(o<strong>der</strong> sogar eine Mehrheit) nie zu Wort kommen läßt.<br />

Diese Präsuppositionsanalyse bedeutet ni<strong>ch</strong>t, daß si<strong>ch</strong> Regierende aus diskurstheoretis<strong>ch</strong>er<br />

Notwendigkeit zu je<strong>der</strong> Zeit und in je<strong>der</strong> Hinsi<strong>ch</strong>t einer diskursiven<br />

Kontrolle zu stellen hätten. Sie müssen gelegentli<strong>ch</strong> Diskurse über die Sozialordnung<br />

zulassen. Das Regierungshandeln muß si<strong>ch</strong> aber ni<strong>ch</strong>t vollständig na<strong>ch</strong> diesen<br />

ri<strong>ch</strong>ten, son<strong>der</strong>n es genügt, wenn im Prinzip anerkannt ist, daß dur<strong>ch</strong> Diskurse eine<br />

gewisse Einflußnahme auf die soziale Ordnung mögli<strong>ch</strong> wird. Ein Militärdiktator,<br />

<strong>der</strong> reale Diskurse grundsätzli<strong>ch</strong> zuläßt, sie in militäris<strong>ch</strong>en Fragen aber verbietet,<br />

handelt ni<strong>ch</strong>t wi<strong>der</strong>sprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>. Dadur<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> die hier entwickelten<br />

75 Die diskursive Kontrolle des gesamten Regierungshandelns gehört indes zu den spezifis<strong>ch</strong>en<br />

Merkmalen des demokratis<strong>ch</strong>en Verfassungsstaates; vgl. R. Zippelius, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in<br />

<strong>der</strong> offenen Gesells<strong>ch</strong>aft (1996), S. 84 f. – demokratis<strong>ch</strong>e 'Rückkoppelung'.<br />

76 Vgl. oben S. 250 (T R ).<br />

77 Vgl. oben S. 222 ff. (Diskursregeln).<br />

78 Zu Gründen, warum in realen Diskursen nie alle Bedingungen eines idealen Diskurses verwirkli<strong>ch</strong>t<br />

werden können, siehe oben S. 218 ff. (Diskursarten).<br />

79 Zum Begriff des idealen und realen Diskurses siehe D Di und D Dr oben S. 218 ff. Zum Charakteristikum<br />

<strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeitsorientierung vgl. S. 232 (arguing vs. bargaining).<br />

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