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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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wie bei Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> (materiellen) Verfassungsordnung – handelt es si<strong>ch</strong> um ein<br />

Normsetzungsverfahren, bei dem Normen mit grundlegen<strong>der</strong>er Bedeutung, meist<br />

sogar mit einem formal höheren Rang (Vorrang <strong>der</strong> Verfassung) als bei einfa<strong>ch</strong>er Gesetzgebung,<br />

verabs<strong>ch</strong>iedet werden.<br />

b) Die Verfassunggebung als realer Diskurs<br />

Versteht man die Verfassunggebung als realen Diskurs, so ist sie <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit verpfli<strong>ch</strong>tet<br />

153 . Das legt sie bereits dur<strong>ch</strong> diejenigen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen fest, die diskurstheoretis<strong>ch</strong><br />

o<strong>der</strong> diskursiv notwendig sind (Grundre<strong>ch</strong>te auf Glei<strong>ch</strong>heit, optimierte<br />

Freiheiten und Demokratie) 154 . Die Tätigkeit einer verfassunggebenden Nationalversammlung<br />

o<strong>der</strong> eines Verfassungskonvents ma<strong>ch</strong>t es wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>er<br />

(wenn au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>er), daß Verfassungsnormen kodifiziert werden, die diesen<br />

notwendigen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen genügen (System größtmögli<strong>ch</strong>er Freiheiten,<br />

Glei<strong>ch</strong>heitssatz, demokratis<strong>ch</strong>e Institutionen und Verfahren). Soweit diese <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

dank <strong>der</strong> Verfahrensweise als Re<strong>ch</strong>t institutionalisiert werden können,<br />

ist die Verfassunggebung ein Verfahren unvollkommener prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

155 .<br />

Vor allem aber benötigt das Verfahren <strong>der</strong> Verfassunggebung die Definitionswirkung<br />

<strong>der</strong> quasi-reinen prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Nur sie kann begründen, daß die<br />

Wahl zwis<strong>ch</strong>en unendli<strong>ch</strong> vielen mögli<strong>ch</strong>en Verfassungsgestaltungen zu einem gere<strong>ch</strong>ten<br />

Ergebnis geführt hat. Dazu muß <strong>der</strong> Prozeß <strong>der</strong> Verfassunggebung selbst als<br />

faires Verfahren begründet sein (Prozedurfairneß). Sieht man die Verfassunggebung<br />

als realen Diskurs, so müssen alle Anfor<strong>der</strong>ungen erfüllt sein, die eine den Umständen<br />

na<strong>ch</strong> angemessene Annäherung an die regulative Idee eines Diskurses unter<br />

idealen Bedingungen ermögli<strong>ch</strong>en 156 . Das kann beispielhaft am Prozeß <strong>der</strong> Verfassunggebung<br />

in Südafrika gezeigt werden. Dort wurde zunä<strong>ch</strong>st eine Interimsverfassung<br />

angenommen, was den Zeitdruck für die Verabs<strong>ch</strong>iedung einer endgültigen<br />

Verfassung min<strong>der</strong>te und die Informiertheit <strong>der</strong> Beteiligten för<strong>der</strong>te (Diskursideale<br />

<strong>der</strong> vollkommenen Informiertheit und unbegrenzten Zeit 157 ). Außerdem wurden<br />

Mehrheitsents<strong>ch</strong>eidungen zurückgestellt, um für die Berücksi<strong>ch</strong>tigung regionaler<br />

und sozialer (hier: rassis<strong>ch</strong> und ethnis<strong>ch</strong> getrennter) Min<strong>der</strong>heiten breiteren Raum zu<br />

lassen (Diskursideal <strong>der</strong> vollkommenen Zwanglosigkeit). Zur wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Be-<br />

153 Vgl. oben S. 250 (T R ).<br />

154 Dazu oben S. 328 ff. (diskursiv notwendige Freiheiten).<br />

155 Dazu oben S. 126 (unvollkommene prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>). No<strong>ch</strong> weitergehend (reine prozedurale<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>) W. Henke, Die verfassunggebende Gewalt (1957), S. 36: »Darum gibt es nur<br />

eine legitime Art <strong>der</strong> Verfassunggebung, nämli<strong>ch</strong> die <strong>der</strong> Verfassungsgesetzgebung dur<strong>ch</strong> eine<br />

frei und allgemein gewählte Nationalversammlung. Damit wird das Verfahren zum einzigen Kriterium<br />

<strong>der</strong> Legitimität des Verfassungsgesetzes.« (Hervorhebung bei Henke). Vgl. zur Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit,<br />

wenn au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t Si<strong>ch</strong>erheit, mit <strong>der</strong> Volkssouveränität zu gere<strong>ch</strong>ten Ergebnissen führt,<br />

aus <strong>der</strong> U.S.-amerikanis<strong>ch</strong>en Verfassungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: J. Madison, Fe<strong>der</strong>alist No. 51 (1788), S. 352 f.:<br />

»In the extended republic of the United States, and among the great variety of interests, parties<br />

and sects whi<strong>ch</strong> it embraces, a coalition of the majority of the whole society could seldom take<br />

place on any other principles than those of justice and the general good«.<br />

156 Vgl. oben S. 221 (T Dr ).<br />

157 Vgl. dazu R. Alexy, Probleme <strong>der</strong> Diskurstheorie (1989), S. 113 sowie oben S. 218 (D Di ).<br />

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