Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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ven Standards <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zu genügen 375 , ist 'subjektiv' die Eignung einer Prozedur,<br />
na<strong>ch</strong> Meinung <strong>der</strong> Beteiligten gere<strong>ch</strong>te Ergebnisse hervorzubringen. Subjektive<br />
prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist maßgebli<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Verfahrenserwartungen bestimmt 376 .<br />
Zahlrei<strong>ch</strong>e Faktoren beeinflussen sol<strong>ch</strong>e Erwartungen und werden in <strong>der</strong> empiris<strong>ch</strong>en<br />
<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfors<strong>ch</strong>ung untersu<strong>ch</strong>t – beispielsweise die Verfahrenskontrolle<br />
dur<strong>ch</strong> die Beteiligten (process control), die Ergebniskontrolle (decision control), gute<br />
Behandlung (dignity factors), allgemeine Beteiligung (voice), Unvoreingenommenheit<br />
(impartiality factors), Glei<strong>ch</strong>behandlung (equality factor), Ergebniserwartungen (entitlement)<br />
o<strong>der</strong> Hoffnungen auf einen guten Ausgang (relative outcome) 377 . Es ist mögli<strong>ch</strong>,<br />
daß subjektive Verfahrenserwartungen und objektive Verfahrenseignung in einen<br />
Zielkonflikt geraten, wenn etwa dem Ri<strong>ch</strong>ter mehr Spielraum eingeräumt wird, um<br />
im Einzelfall eine gere<strong>ch</strong>tere Ents<strong>ch</strong>eidung mögli<strong>ch</strong> zu ma<strong>ch</strong>en, diese Flexibilität aber<br />
aus Si<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Beteiligten die 'Würde des Verfahrens' min<strong>der</strong>t 378 .<br />
Subjektive prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> hat Überzeugungsfunktion, umfaßt also alle<br />
prozeduralen Elemente, die geeignet sind, eine Akzeptanz <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung bei<br />
den Beteiligten tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> herbeizuführen 379 . Dabei kann es si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> um bloß symbolis<strong>ch</strong>e<br />
Elemente handeln, etwa die Gestaltung des Geri<strong>ch</strong>tsraums, das Tragen einer<br />
Robe o<strong>der</strong> die erhöhte Position des Ri<strong>ch</strong>ters sowie formale Abläufe des einzelnen<br />
Prozesses o<strong>der</strong> ganz allgemein die juristis<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e 380 . Wenn etwa die Parteien eines<br />
Zivilstreits au<strong>ch</strong> deshalb von <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> des Prozeßergebnisses überzeugt<br />
sind, weil die Würde des Geri<strong>ch</strong>ts dur<strong>ch</strong> eine erhöhte Sitzposition unterstri<strong>ch</strong>en<br />
wird, dann genügt diese Überzeugungswirkung, um das Podest als Verfahrenselement<br />
einer subjektiven prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> anzusehen, selbst wenn objektive<br />
Auswirkungen auf das Prozeßergebnis ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>weisbar sind. Zwar sind Verfahrenselemente,<br />
die subjektiv vertrauensbildend wirken, meist au<strong>ch</strong> objektiv einer ri<strong>ch</strong>tigen<br />
Ents<strong>ch</strong>eidung dienli<strong>ch</strong> (z.B. <strong>der</strong> Anspru<strong>ch</strong> bei<strong>der</strong> Parteien auf re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>es Gehör<br />
– audiatur et altera pars). Do<strong>ch</strong> ist dieser Zusammenhang ni<strong>ch</strong>t zwingend. Deshalb<br />
bleibt die subjektive prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in den hier interessierenden normativen<br />
<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien regelmäßig ausgeklammert. Subjektive prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />
wird – genau wie <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>ssinn, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgefühle, Empathie<br />
und Intuition – im Rahmen dieser Arbeit nur am Rande eine Rolle spielen 381 . Im<br />
375 E. A. Lind/T. R. Tyler, The Social Psy<strong>ch</strong>ology of Procedural Justice, S. 3.<br />
376 K.F. Röhl, Procedural Justice (1997), S. 4.<br />
377 Zu den Faktoren und ihrer empiris<strong>ch</strong>en Untersu<strong>ch</strong>ung im Geltungsberei<strong>ch</strong> <strong>der</strong> deuts<strong>ch</strong>en Zivilprozeßordnung<br />
siehe C. Rennig, Subjective Procedural Justice and Civil Procedure (1997), S. 207 ff.<br />
(218 ff.); allgemein H.W. Bierhoff, Sozialpsy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1996), S. 8 f.<br />
378 Zu diesem Beispiel C. Rennig, Subjective Procedural Justice and Civil Procedure (1997), S. 218 f.<br />
379 Im englis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong> wird diese tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Akzeptanz übli<strong>ch</strong>erweise als Legitimität<br />
(legitimacy) bezei<strong>ch</strong>net und von <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Begründbarkeit im Sinne einer vernünftigen<br />
Re<strong>ch</strong>tfertigung (Legitimation, legitimation) unters<strong>ch</strong>ieden.<br />
380 Zu Verhaltenskonsistenz, Vertrauen und Würde als Faktoren, die zur subjektiven prozeduralen<br />
<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> beitragen siehe C. Rennig, Subjective Procedural Justice and Civil Procedure (1997),<br />
S. 221 f. m.w.N.<br />
381 Relevanz für normative <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien kann etwa dort bestehen, wo die <strong>Theorien</strong> auf intuitive<br />
<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteile als Begründungselement zurückgreifen. Vgl. etwa zum Überlegungsglei<strong>ch</strong>gewi<strong>ch</strong>t<br />
bei Rawls unten S. 284 ff. (kantis<strong>ch</strong>e Sozialvertragstheorien).<br />
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