Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Glücksspielen: ganz glei<strong>ch</strong> wie <strong>der</strong> Würfel fällt o<strong>der</strong> die Kugel rollt, das Ergebnis ist<br />
immer gere<strong>ch</strong>t, solange die Spielregeln eingehalten wurden. Wo ein sol<strong>ch</strong>er Zusammenhang<br />
zwis<strong>ch</strong>en Verfahrens- und Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit gegeben ist, liegt ein<br />
Verfahren <strong>der</strong> reinen prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> vor 404 . Die Anwendung eines Verfahrens<br />
dieser Art, soweit sie ri<strong>ch</strong>tig erfolgt (Anwendungsbedingungen, Regeleinhaltung),<br />
definiert das Ergebnis als gere<strong>ch</strong>t. Für Verfahren <strong>der</strong> reinen prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />
gilt folgli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Satz: Etwas (z.B. eine Situation, Institution, Person, Norm,<br />
Handlung) 405 ist genau dann gere<strong>ch</strong>t, wenn es das Ergebnis des Verfahrens ist (Definitionswirkung).<br />
Für ni<strong>ch</strong>t real dur<strong>ch</strong>geführte (hypothetis<strong>ch</strong>e) Verfahren <strong>der</strong> rein<br />
prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, die in einem prozeduralen Gedankenexperiment bestehen,<br />
gilt entspre<strong>ch</strong>end: Etwas ist genau dann gere<strong>ch</strong>t, wenn es das Ergebnis eines<br />
Verfahrens sein könnte.<br />
b) Quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (D 3d )<br />
D 3d :<br />
Quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (quasi-pure procedural<br />
justice) ist diejenige prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, bei<br />
<strong>der</strong> ein Verfahren ni<strong>ch</strong>t mit Si<strong>ch</strong>erheit ein gere<strong>ch</strong>tes Ergebnis<br />
bewirkt, wobei es kein verfahrensunabhängiges<br />
Kriterium für die Beurteilung <strong>der</strong> Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit<br />
gibt.<br />
Wie bei <strong>der</strong> unvollkommenen ergibt au<strong>ch</strong> bei <strong>der</strong> quasi-reinen 406 prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />
eine Zusammens<strong>ch</strong>au von D 3 und D 3d , daß das Verfahren die Bewirkung<br />
eines gere<strong>ch</strong>ten Ergebnisses zumindest för<strong>der</strong>n muß, an<strong>der</strong>erseits die bloße Einhaltung<br />
<strong>der</strong> Verfahrensregeln ni<strong>ch</strong>t immer ein gere<strong>ch</strong>tes Ergebnis bewirkt. Laut Rawls<br />
soll das typis<strong>ch</strong>e Beispiel im Gesetzgebungsverfahren zu sehen sein. Gesetze seien<br />
bei Einhaltung des Gesetzgebungsverfahrens definitionsgemäß gere<strong>ch</strong>t, solange sie<br />
im Berei<strong>ch</strong> des na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Verfassung Erlaubten liegen 407 . Eine sol<strong>ch</strong>e Aussage s<strong>ch</strong>eint<br />
das Verhältnis von Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> auf den Kopf zu stellen. Denn ni<strong>ch</strong>t <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />
ist <strong>der</strong> Maßstab, an dem si<strong>ch</strong> das Re<strong>ch</strong>t zu messen hat, son<strong>der</strong>n es kann<br />
umgekehrt das Re<strong>ch</strong>t definieren, was als gere<strong>ch</strong>t anzusehen ist. Verständli<strong>ch</strong> wird<br />
die Aussage erst aus Rawls Verwendung <strong>der</strong> quasi-reinen prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />
in einem vierstufigen Modell zunehmen<strong>der</strong> Konkretisierung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />
in <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Ordnung. Auf je<strong>der</strong> Stufe ist jeweils die Ergebnisgere<strong>ch</strong>tigkeit <strong>der</strong><br />
darüberliegenden Stufe als Vorgabe zu respektieren. Quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />
ist nur auf einer untergeordneten Stufe mögli<strong>ch</strong>; ihr ist ein <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>srahmen<br />
vorgegeben. Es wird eine implizite Anwendungsbedingung des Verfahrens<br />
404 So au<strong>ch</strong> U. Neumann, Zur Interpretation des forensis<strong>ch</strong>en Diskurses (1996), S. 423; N. Duxbury,<br />
Random Justice (1999), S. 43 ff. (Beispiele), S. 131 ff. (prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>), S. 146 ff. (Verglei<strong>ch</strong><br />
mit dem Windhundprinzip: first come, first served).<br />
405 Dazu oben S. 48 (Vielfalt <strong>der</strong> mögli<strong>ch</strong>en Gegenstände und Transponierbarkeitsthese).<br />
406 Die deuts<strong>ch</strong>e Übersetzung von Rawls Theorie spri<strong>ch</strong>t statt dessen von 'fast-reiner' Verfahrensgere<strong>ch</strong>tigkeit:<br />
J. Rawls, Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1979), § 31, S. 229. Das drückt die in 'quasi-pure'<br />
enthaltene Skepsis ni<strong>ch</strong>t hinrei<strong>ch</strong>end aus. Abgesehen von dieser Abwei<strong>ch</strong>ung entspri<strong>ch</strong>t die hier<br />
gewählte Terminologie <strong>der</strong>jenigen <strong>der</strong> deuts<strong>ch</strong>en Übersetzung.<br />
407 J. Ralws, Theory of Justice (1971), S. 201.<br />
128