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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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det – kann si<strong>ch</strong> immer des Darstellungsmittels 'Gesells<strong>ch</strong>aftsvertrag' bedienen 268 .<br />

Zwar gibt es insoweit keine Beliebigkeit: ni<strong>ch</strong>t jedes Darstellungsmittel läßt si<strong>ch</strong> mit<br />

jedem Rationalitätskonzept kombinieren 269 . Do<strong>ch</strong> muß für die drei Kategorien jeweils<br />

unters<strong>ch</strong>ieden werden, ob sie nur zur Darstellung <strong>der</strong> Theorie o<strong>der</strong> au<strong>ch</strong> zur Erklärung<br />

<strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft eingesetzt werden. Dabei zeigt si<strong>ch</strong>, daß die Rationalitätskonzepte<br />

'Vertrag', 'Beoba<strong>ch</strong>ter' und 'Diskurs' ni<strong>ch</strong>t deckungsglei<strong>ch</strong> mit <strong>der</strong><br />

Klassifikation na<strong>ch</strong> Grundpositionen sind 270 .<br />

bb) Der Vertrag<br />

Vertragstheorien sind alle <strong>Theorien</strong>, die si<strong>ch</strong> des Darstellungsmittels 'Vertrag' bedienen<br />

271 . Das Darstellungsmittel 'Vertrag' präsentiert mehrere Personen in einer Verhandlungs-<br />

und Ents<strong>ch</strong>eidungssituation. Bei definierter Interessenlage su<strong>ch</strong>t jede<br />

Person ihren eigenen Vorteil 272 und stimmt auf dieser Grundlage freiwillig einer gegenseitigen<br />

Vereinbarung zu, die Re<strong>ch</strong>te und Pfli<strong>ch</strong>ten für die Zukunft begründet.<br />

Das (voluntative) Rationalitätskonzept 'Vertrag' su<strong>ch</strong>t praktis<strong>ch</strong>e Erkenntnis im<br />

freiwilligen Interessenabglei<strong>ch</strong>. Gegenseitige Re<strong>ch</strong>te und Pfli<strong>ch</strong>ten sowie die darauf<br />

gestützten Verhaltensweisen stellen si<strong>ch</strong> genau dann als gere<strong>ch</strong>tfertigt dar, wenn sie<br />

Gegenstand einer Vereinbarung sein können. Das ri<strong>ch</strong>tigkeitsverbürgende Element<br />

liegt in <strong>der</strong> geda<strong>ch</strong>ten Freiwilligkeit <strong>der</strong> Bindung, also letztli<strong>ch</strong> in dem Satz, daß dem<br />

Einwilligenden kein Unre<strong>ch</strong>t getan werden kann (volenti non fit iniuria) 273 . Vertrags-<br />

268 Für Höffes Theorie des transzendentalen Taus<strong>ch</strong>es (dazu unten S. 193 ff.) hat beispielsweise<br />

K.-O. Apel, Diskursethik vor <strong>der</strong> Problematik von Re<strong>ch</strong>t und Politik (1992), S. 47 festgestellt, daß<br />

sie zwar das Darstellungsmittel des Sozialvertrags nutzt, für die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns aber<br />

auf die Perspektive eines idealen, unparteiis<strong>ch</strong>en Beoba<strong>ch</strong>ters abstellt. Vgl. au<strong>ch</strong> H. Pauer-Stu<strong>der</strong>,<br />

Das An<strong>der</strong>e <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1996), S. 66 ff. (67) – Unters<strong>ch</strong>eidung von individualistis<strong>ch</strong>en (Hobbes,<br />

Gauthier) und universalistis<strong>ch</strong>en (Kant, Rawls) Vertragstheorien.<br />

269 Das Darstellungsmittel des Diskurses läßt si<strong>ch</strong> beispielsweise allein mit dem Rationalitätskonzept<br />

des Diskurses sinnvoll kombinieren, ni<strong>ch</strong>t aber mit Beoba<strong>ch</strong>ter- o<strong>der</strong> Vertragsrationalität, weil die<br />

au<strong>ch</strong> in <strong>der</strong> Darstellung vorausgesetzte Herrs<strong>ch</strong>aftsfreiheit bei interessengeleitetem Handeln unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong><br />

mä<strong>ch</strong>tiger Realpersonen ni<strong>ch</strong>t aufre<strong>ch</strong>terhalten werden kann. Das Darstellungsmittel<br />

des Beoba<strong>ch</strong>ters und erst re<strong>ch</strong>t dasjenige des Vertrags sind hingegen für unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Rationalitätskonzepte<br />

offen.<br />

270 Beispielsweise können kantis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> als Diskurstheorien mit argumentativem und als Beoba<strong>ch</strong>tertheorien<br />

mit perspektivis<strong>ch</strong>em Rationalitätskonzept arbeiten. In beiden Fällen explizieren<br />

sie eine universalistis<strong>ch</strong>e Konzeption <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft.<br />

271 An<strong>der</strong>s V. Medina, Social Contract Theories (1990), S. 5: »Contractarianism is a theory whi<strong>ch</strong> maintains<br />

that all of our basic political rights and duties are <strong>der</strong>ived from some kind of explicit or implicit<br />

contract among a collection of individuals.« Dana<strong>ch</strong> wäre Vertragsrationalität nötig. Hier<br />

wird hingegen <strong>der</strong> übli<strong>ch</strong>e weite Vertragstheoriebegriff benutzt, na<strong>ch</strong> dem es allein auf das Darstellungsmittel<br />

ankommt.<br />

272 An<strong>der</strong>s insoweit W. Kersting, Die politis<strong>ch</strong>e Philosophie des Gesells<strong>ch</strong>aftsvertrags (1994), S. 46 –<br />

Die Vorteilsorientierung gehöre ni<strong>ch</strong>t nur zum Darstellungsmittel, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> zum Rationalitätskonzept<br />

des Vertrages. Das mag für (neo)hobbesianis<strong>ch</strong>e Sozialvertragstheorien gelten, ni<strong>ch</strong>t<br />

aber für die kantis<strong>ch</strong>en, weil bei ihnen <strong>der</strong> individuelle Vorteil ni<strong>ch</strong>t notwendig den Auss<strong>ch</strong>lag<br />

gibt. Zur Zuordnung <strong>der</strong> Sozialvertragstheorien zu unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Grundpositionen siehe unten<br />

S. 137 f. (erweiterte Klassifizierung).<br />

273 Dig. 47, 10, 1, 5 f.: »[N]ulla iniuria est, quae in volentem fiat«; vgl. au<strong>ch</strong> Thomas von Aquin, ST, II-II, 59,<br />

3: »Dicendum est ergo quod injustum, per se et formaliter loquendo, nullus potest facere nisi volens, nec pa-<br />

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