Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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ganz ohne das regelhafte Rahmenwerk des Marktes läge in ihm die bewußte Ents<strong>ch</strong>eidung<br />
für ein <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzip <strong>der</strong> Form 'Jedem na<strong>ch</strong> seinem Marktwert.' 39<br />
Entspre<strong>ch</strong>endes läßt si<strong>ch</strong> für jede an<strong>der</strong>e Form des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskeptizismus zeigen.<br />
Wenn eine Aussage über die ri<strong>ch</strong>tige Sozialordnung mit dem Skeptizismus verbunden<br />
wird, liegt ein innerer Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong> vor; wird aber eine sol<strong>ch</strong>e Aussage vermieden,<br />
ist die Theorie inadäquat gegenüber den Gestaltungsaufgaben in <strong>der</strong> realen<br />
Welt.<br />
III. Ergebnisse<br />
Damit sind zwei Einwände erhoben, die entspre<strong>ch</strong>end au<strong>ch</strong> für systemtheoretis<strong>ch</strong>e<br />
und postmo<strong>der</strong>ne <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskepsis gelten. Gegen den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskeptizismus<br />
<strong>der</strong> nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>en 'Antitheorien' <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> spri<strong>ch</strong>t erstens,<br />
daß sie die Rationalitätspotentiale prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ni<strong>ch</strong>t realisieren<br />
(Inadäquatheitsargument), und zweitens, daß sie zur Ri<strong>ch</strong>tigkeit sozialer Ordnung<br />
Aussagen treffen, die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns aber glei<strong>ch</strong>zeitig für positiv ni<strong>ch</strong>t begründbar<br />
erklären (Inakzeptabilitätsargument). Die Kraft <strong>der</strong> Rationalitätspostulate<br />
prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien, in <strong>der</strong> si<strong>ch</strong> die Begründungsfähigkeit praktis<strong>ch</strong>er<br />
Vernunft erweist, wird no<strong>ch</strong> im einzelnen darzulegen sein 40 .<br />
B. <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Grundposition<br />
I. Die neoaristotelis<strong>ch</strong>en Konzeptionen des Guten<br />
<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien <strong>der</strong> aristotelis<strong>ch</strong>en Tradition versu<strong>ch</strong>en zwar, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />
rational zu begründen, sind aber in diesem Bemühen zum S<strong>ch</strong>eitern verurteilt. Als<br />
substantielle <strong>Theorien</strong> beruhen sie nämli<strong>ch</strong> auf Annahmen, die allenfalls des Bekenntnisses,<br />
ni<strong>ch</strong>t aber <strong>der</strong> rationalen Begründung fähig sind. Dieses »Hauptproblem<br />
<strong>der</strong> materialen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien« 41 gilt für die neoaristotelis<strong>ch</strong>en Vernunftre<strong>ch</strong>tslehren<br />
ebenso wie für ältere Naturre<strong>ch</strong>tslehren, die religiöse Glaubenssätze<br />
zu Wahrheiten erhoben haben. Denn eine Konzeption des Guten mag vor dem<br />
Hintergrund individueller Lebensents<strong>ch</strong>eidungen ri<strong>ch</strong>tig sein. Sie mag au<strong>ch</strong> in einer<br />
homogenen Gruppe auf eine traditionsbedingt einheitli<strong>ch</strong>e, spontane Zustimmung<br />
hoffen, wie dies vor allem von Kommunitaristen geltend gema<strong>ch</strong>t wird. Eine Begründung<br />
jenseits sol<strong>ch</strong>er individuellen o<strong>der</strong> kollektiven Bekenntnisse ist dagegen<br />
ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>, denn die Begründung mit tradierten Wertvorstellungen findet genau<br />
dort ihre Grenze, wo auf gemeinsame Werte ni<strong>ch</strong>t länger zurückgegriffen werden<br />
kann. Au<strong>ch</strong> eine Wie<strong>der</strong>belebung des einmal verlorenen Wertkonsenses ist innerhalb<br />
<strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> aristotelis<strong>ch</strong>er Tradition ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>. Denn es müßte ein Grund<br />
angegeben werden, warum si<strong>ch</strong> jemand, <strong>der</strong> die alten Wertvorstellungen ni<strong>ch</strong>t teilt,<br />
im Interesse einer Wie<strong>der</strong>herstellung von Einigkeit in ein ihm ni<strong>ch</strong>t ri<strong>ch</strong>tig ers<strong>ch</strong>einendes<br />
Wertesystem zwängen sollte. Gelegentli<strong>ch</strong> wird argumentiert, daß kommu-<br />
39 R. Kley, Hayek's Social and Political Thought (1994), S. 204.<br />
40 Dazu unten S. 309 ff. (Grundzüge einer Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />
41 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 109 ff. (110); vgl. au<strong>ch</strong> N. Luhmann, Gibt es in unserer<br />
Gesells<strong>ch</strong>aft no<strong>ch</strong> unverzi<strong>ch</strong>tbare Normen? (1992), S. 18 f. (Werte als prinzipbedingt unbegründbarer<br />
'Reflexionsstop').<br />
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