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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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<strong>der</strong>n <strong>der</strong>en potentielle Meinung, wie sie im Falle umfassen<strong>der</strong> Sa<strong>ch</strong>aufklärung und<br />

Beratung gebildet würde (consi<strong>der</strong>ed judgments of the public) 245 . Dabei wird eine repräsentative<br />

Bevölkerungsgruppe von etwa dreihun<strong>der</strong>t bis se<strong>ch</strong>shun<strong>der</strong>t Personen zusammengestellt<br />

und bezahlt, um an einem zentralen Ort zusammenzukommen.<br />

Na<strong>ch</strong> einer Eingangsabstimmung (baseline survey) über die zu ents<strong>ch</strong>eidende Sa<strong>ch</strong>frage<br />

wird die Gruppe mehrere Tage von unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Experten mögli<strong>ch</strong>st ausgewogen<br />

informiert. Dana<strong>ch</strong> führt sie Diskussionen in Kleingruppen und befragt Politiker<br />

mit unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en Ansi<strong>ch</strong>ten zur Sa<strong>ch</strong>frage. Erst na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>luß dieses extensiven<br />

und intensiven Informationsprozesses erfolgt die eigentli<strong>ch</strong>e Abstimmung<br />

(deliberative poll). In den bisher real dur<strong>ch</strong>geführten Verfahren gab es jeweils signifikante<br />

Unters<strong>ch</strong>iede zwis<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidung vor und na<strong>ch</strong> dem Informationsprozeß<br />

246 . Da die vollkommene Informiertheit zu den Diskursidealen zu re<strong>ch</strong>nen ist,<br />

muß das 'diskursive Niveau' <strong>der</strong> deliberativen Abstimmung gegenüber <strong>der</strong> ni<strong>ch</strong>tdeliberativen<br />

Eingangsabstimmung als höher und die Ents<strong>ch</strong>eidung deshalb als besser<br />

begründet angesehen werden 247 . Deliberative Abstimmungen sind damit ein mögli<strong>ch</strong>er<br />

Beitrag zur prozedural erzeugten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Re<strong>ch</strong>t.<br />

5. Ergebnisse<br />

Ni<strong>ch</strong>tstrategis<strong>ch</strong>e Politik kann sinnvoll als realer Diskurs zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung<br />

verstanden werden. Dadur<strong>ch</strong> werden die Anwendungsbedingungen und Verfahrensregeln,<br />

die Habermas für sein Konzept <strong>der</strong> deliberativen Politik formuliert hat,<br />

unmittelbar als Gebote rekonstruierbar, die Diskursideale näherungsweise verwirkli<strong>ch</strong>en.<br />

Der S<strong>ch</strong>utz öffentli<strong>ch</strong>er Meinungsbildung und zivilgesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Assoziation<br />

sowie die Regulierung von Massenmedien müssen dann dem Umstand Re<strong>ch</strong>nung<br />

tragen, daß diese politis<strong>ch</strong>en Instrumente für die Erzeugung gere<strong>ch</strong>ten Re<strong>ch</strong>ts<br />

als Verfahren prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> konstitutiv sind 248 . Vereinfa<strong>ch</strong>t ausgedrückt:<br />

Ohne einen wirksamen S<strong>ch</strong>utz politis<strong>ch</strong>er Diskurse vor strategis<strong>ch</strong>en Interessen<br />

ist die Begründung gere<strong>ch</strong>ten Re<strong>ch</strong>ts jedenfalls ni<strong>ch</strong>t optimal mögli<strong>ch</strong>. Neue Verfahren,<br />

wie etwa die 'deliberative Abstimmung', können einen prozeduralen Beitrag<br />

zu diesem Optimierungsprozeß leisten.<br />

245 Zu dieser Zielsetzung des Verfahrens und zu <strong>der</strong> Funktion, öffentli<strong>ch</strong>e Meinung ni<strong>ch</strong>t zu bes<strong>ch</strong>reiben<br />

o<strong>der</strong> vorherzusagen, son<strong>der</strong>n eine potentielle Meinung »präskriptiv« zu »empfehlen«:<br />

J.S. Fishkin, The Voice of the People (1995), S. 162.<br />

246 Beispielsweise sank in einer deliberativen Abstimmung über Strafre<strong>ch</strong>tspolitik und Strafvollzug<br />

in Großbritannien die Rate <strong>der</strong> Befürworter von s<strong>ch</strong>ärfen Strafen mit <strong>der</strong>en Informiertheit um ein<br />

Vielfa<strong>ch</strong>es <strong>der</strong> Signifikanzgrenze (von 57% auf 38% bei 1%-Signifikanz); J.S. Fishkin, The Voice of<br />

the People (1995), S. 177 ff.<br />

247 Vgl. J.S. Fishkin, The Voice of the People (1995), S. 161 – Zitate <strong>der</strong> Teilnehmenden; <strong>der</strong>s., Dialogue<br />

of Justice (1992), S. 200 f. – informiertere Wahl von Präsidents<strong>ch</strong>aftskandidaten.<br />

248 Im Ergebnis no<strong>ch</strong> weitergehend G. Jo<strong>ch</strong>um, Materielle Anfor<strong>der</strong>ungen an das Ents<strong>ch</strong>eidungsverfahren<br />

in <strong>der</strong> Demokratie (1997), S. 84: »Politis<strong>ch</strong>e Ents<strong>ch</strong>eidungen sind in <strong>der</strong> Demokratie nur unter<br />

<strong>der</strong> Bedingung eines vorherigen Diskurses legitimiert.« Gemeint ist ein 'öffentli<strong>ch</strong>er Diskurs';<br />

vgl. ebd., S. 68 ff.<br />

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