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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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3. Die parlamentaris<strong>ch</strong>e Gesetzgebung als realer Diskurs<br />

So, wie das Verfahren <strong>der</strong> Verfassunggebung innerhalb eines <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>srahmens<br />

aus unmittelbar begründeten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen angewendet wird, so verhält<br />

si<strong>ch</strong> die parlamentaris<strong>ch</strong>e Gesetzgebung innerhalb des konkreteren <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>srahmens<br />

<strong>der</strong> Verfassung 169 . Einerseits steigt dur<strong>ch</strong> ein öffentli<strong>ch</strong>es parlamentaris<strong>ch</strong>es<br />

Verfahren die Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit, daß nur sol<strong>ch</strong>e Gesetze verabs<strong>ch</strong>iedet werden, die<br />

mit <strong>der</strong> Verfassung vereinbar sind (unvollkommen prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>). An<strong>der</strong>erseits<br />

expliziert die parlamentaris<strong>ch</strong>e Gesetzgebung quasi-reine prozedurale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

170 , indem sie unter unendli<strong>ch</strong> vielen verfassungsgemäßen Konkretisierungsmögli<strong>ch</strong>keiten<br />

eine definitive Wahl trifft 171 .<br />

Im Parlamentarismus gelten »Mindestvorgaben für einen rationalen Gesetzgebungsprozeß«<br />

172 , die eine Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Ergebnisses innerhalb <strong>der</strong> verfassungskräftig<br />

gesetzten Grenzen si<strong>ch</strong>erstellen sollen. Sol<strong>ch</strong>e Anwendungsbedingungen und<br />

Verfahrensregeln des Gesetzgebungsverfahrens sind, ohne daß das hier im einzelnen<br />

gezeigt werden müßte, den Umständen na<strong>ch</strong> angemessene Annäherungen an die regulative<br />

Idee eines Diskurses unter idealen Bedingungen 173 . Die resultierenden Gesetze<br />

sind prima facie genau dann gere<strong>ch</strong>t, wenn sie unter sol<strong>ch</strong>en Bedingungen zustandegekommen<br />

sind 174 . Die Ungere<strong>ch</strong>tigkeit eines Gesetzes kann man ni<strong>ch</strong>t damit<br />

begründen, daß eine an<strong>der</strong>e Regelung 'sinnvoller' gewesen wäre, son<strong>der</strong>n nur no<strong>ch</strong><br />

damit, daß entwe<strong>der</strong> <strong>der</strong> materielle Rahmen des gere<strong>ch</strong>ten Legislativberei<strong>ch</strong>s verlassen<br />

(z.B. dur<strong>ch</strong> Verletzung von Freiheitsre<strong>ch</strong>ten) o<strong>der</strong> eine wesentli<strong>ch</strong>e Verfahrensregel<br />

des parlamentaris<strong>ch</strong>en Prozesses ni<strong>ch</strong>t eingehalten wurde. Gerade mit Blick auf<br />

diese zweite Wi<strong>der</strong>legungsmögli<strong>ch</strong>keit ist es aus Si<strong>ch</strong>t prozeduraler <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

problematis<strong>ch</strong>, wenn eine Verfassungsjudikatur bei Verfahrensfehlern nur<br />

einges<strong>ch</strong>ränkt die Konsequenz zieht, daß die resultierenden Gesetze ni<strong>ch</strong>tig sind 175 .<br />

Das gilt jedenfalls für sol<strong>ch</strong>e Verfahrensfehler, die die Diskursivität und Öffent-<br />

169 Vgl. J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 31, S. 195 ff. – Stufen zunehmen<strong>der</strong> Konkretisierung.<br />

170 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 31, S. 195 ff. (201); dazu oben S. 128 (quasi-reine prozedurale<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

171 Vgl. M. Böhm, Der Normmens<strong>ch</strong> (1996), S. 180 ff. (181) – zwei unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Verfahrensfunktionen:<br />

Verfahren »im Dienste« (z.B. prozeduraler Grundre<strong>ch</strong>tss<strong>ch</strong>utz) und »anstelle« einer Konkretisierung<br />

des materiellen Re<strong>ch</strong>ts (z.B. prozedurale Grenzwertfindung).<br />

172 B.-O. Bryde, Geheimgesetzgebung (1998), S. 116.<br />

173 Vgl. oben S. 221 (T Dr ); J.P. Müller, Demokratis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1993), S. 161: »Parlamente sind<br />

<strong>der</strong> Idee na<strong>ch</strong> in den gegenwärtigen Demokratien Diskursforen par excellence.« Skeptis<strong>ch</strong>er<br />

H. S<strong>ch</strong>ulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentaris<strong>ch</strong>er Gesetzgebung (1988), S. 252 – partieller<br />

Diskurs<strong>ch</strong>arakter des Gesetzgebungsverfahrens, S. 399 – an diskursive Diskussion sei unter Zeitdruck<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr zu denken.<br />

174 Vgl. J. Habermas, Faktizität und Geltung (1994), S. 662: »[D]as demokratis<strong>ch</strong>e Verfahren ... begründet<br />

... die fallibilistis<strong>ch</strong>e Vermutung, daß verfahrensgere<strong>ch</strong>t zustandegekommene Resultate ... vernünftig<br />

sind.«<br />

175 So in <strong>der</strong> deuts<strong>ch</strong>en Verfassungsre<strong>ch</strong>tsjudikatur das Bundesverfassungsgeri<strong>ch</strong>t, das die Ni<strong>ch</strong>tigkeitsfolge<br />

bei Verfahrensfehlern bes<strong>ch</strong>ränkt: BVerfGE 34, 9 (25) – Besoldungsvereinheitli<strong>ch</strong>ung;<br />

91, 148 (175) – Umlaufverfahren: »Während bei inhaltli<strong>ch</strong>en Fehlern die Ni<strong>ch</strong>tigkeit die regelmäßige<br />

Folge des Verfassungsverstoßes bildet, führt ein Verfahrensfehler nur dann zur Ni<strong>ch</strong>tigkei[t]<br />

<strong>der</strong> Norm, wenn er evident ist. Das gebietet die Rücksi<strong>ch</strong>t auf die Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit.« Kritis<strong>ch</strong> dazu<br />

B.-O. Bryde, Geheimgesetzgebung (1998), S. 119 f.; aus politikwissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong><br />

H.-J. Mengel, Gesetzgebung und Verfahren (1997), S. 345 ff., 381 ff.<br />

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