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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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2. Die Erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong>keit einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdefinition<br />

Angesi<strong>ch</strong>ts sol<strong>ch</strong>er Konkretisierungshürden stellt si<strong>ch</strong> zunä<strong>ch</strong>st die Frage, ob eine<br />

Erörterung des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs überhaupt für die Untersu<strong>ch</strong>ung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong> ist. Denn häufig wird in den <strong>Theorien</strong> auf eine Begriffsbestimmung<br />

ganz verzi<strong>ch</strong>tet. Die sonst sehr umfassende <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie von<br />

Rawls enthält beispielsweise keine Definition des <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffs 15 . Statt dessen<br />

legt Rawls den Gegenstand <strong>der</strong> Theorie nur generalisierend als 'soziale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>'<br />

fest und stellt im übrigen auf das Son<strong>der</strong>verständnis einer '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als<br />

Fairneß' ab 16 . Der <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff wird dabei ni<strong>ch</strong>t definiert, son<strong>der</strong>n vorausgesetzt.<br />

Was zwis<strong>ch</strong>en den Zeilen mit <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gemeint ist, ers<strong>ch</strong>ließt si<strong>ch</strong> bei<br />

Rawls erst im Rückblick, na<strong>ch</strong>dem die Theorie ihr Begründungszelt aufgespannt hat.<br />

Sol<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> wei<strong>ch</strong>en einer Definition aus 17 . Bei an<strong>der</strong>en Studien zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

steht dagegen die Wortbedeutung normativer Grundprädikate wie 'gut' und 'gere<strong>ch</strong>t'<br />

im Mittelpunkt 18 . Sie versu<strong>ch</strong>en, dur<strong>ch</strong> Begriffsanalyse einen semantis<strong>ch</strong>en<br />

Zugang zur Moral zu gewinnen 19 .<br />

Zwis<strong>ch</strong>en den Randpositionen einer Definitionsverweigerung und einer Definitionsfokussiertheit<br />

wird hier ein Mittelweg bes<strong>ch</strong>ritten. Zwar ist es für eine Analyse<br />

unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er <strong>Theorien</strong> unerläßli<strong>ch</strong>, den dabei zugrundegelegten Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

zu definieren, denn sonst ließe si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t einmal genau bestimmen, weljust<br />

if, and only if, it is prescribed exclusively by regard for the rights of all whom it affects substantially.«<br />

(Hervorhebung bei Vlastos); J.R. Lucas, Principles of Politics (1966), S. 369: »Justice is a<br />

rational regard for the individual, taking into account all and only all the circumstances of the individual<br />

case, and not merely some of them, and not any other extraneous, and properly irrelevant<br />

ones.« Au<strong>ch</strong> die Definition von Dreier ist nur eine Reformulierung des inhaltli<strong>ch</strong> unbestimmten<br />

suum cuique; vgl. R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 100: »<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist diejenige<br />

Eigens<strong>ch</strong>aft einer Handlung, eines Handlungssubjekts, einer Norm o<strong>der</strong> einer Normenordnung,<br />

dur<strong>ch</strong> die eine gute Ordnung <strong>der</strong> Verteilung und des Ausglei<strong>ch</strong>s von Gütern und Lasten bewahrt<br />

o<strong>der</strong> hergestellt wird.«<br />

15 Die ähnli<strong>ch</strong> einer Definition formulierte Erläuterung am Anfang <strong>der</strong> Theorie (J. Rawls, Theory of<br />

Justice [1971], § 1, S. 3: »Justice is the first virtue of social institutions, as truth is of systems of<br />

thought.«), <strong>der</strong>en wortglei<strong>ch</strong>es Aufgreifen am Ende <strong>der</strong> Arbeit (S. 586) den Kreis <strong>der</strong> Untersu<strong>ch</strong>ung<br />

s<strong>ch</strong>ließen soll, ist tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> keine Definition, son<strong>der</strong>n setzt vielmehr eine sol<strong>ch</strong>e voraus und<br />

weist <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, basierend auf dieser implizierten Definition, eine Wertigkeit zu.<br />

16 J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 3, 11: »This way of regarding the principles of justice [as object<br />

of the original agreement] I shall call justice as fairness.«<br />

17 Die Auswei<strong>ch</strong>taktik gegenüber den S<strong>ch</strong>wierigkeiten einer Definition beginnt bei Rawls bereits mit<br />

dem Frühwerk; vgl. J. Rawls, Justice as Fairness (1957), S. 653: »Throughout I discuss justice as virtue<br />

of institutions ... and not as a virtue of particular actions, or persons.«<br />

18 Für das Prädikat 'gut' z.B. im Präskriptivismus von R.M. Hare, Spra<strong>ch</strong>e <strong>der</strong> Moral (1952), S. 109 ff.<br />

(Begriffsanalyse); vgl. au<strong>ch</strong> S. 183 (»'Gut', wie es in moralis<strong>ch</strong>en Zusammenhängen gebrau<strong>ch</strong>t<br />

wird, hat eine bes<strong>ch</strong>reibende und wertende Bedeutung, und die letztere ist die primäre.«) sowie –<br />

zum Begriff des 'Sollens' – S. 211: »[D]o<strong>ch</strong> i<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>lage vor, dieser S<strong>ch</strong>wierigkeit in <strong>der</strong> einzig mögli<strong>ch</strong>en<br />

Weise zu begegnen, indem man sie zu einer Sa<strong>ch</strong>e <strong>der</strong> Definition ma<strong>ch</strong>t.« (Hervorhebungen hinzugefügt,<br />

A.T.).<br />

19 R.M. Hare, Ethical Theory and Utilitarianism (1976), S. 25 m.w.N.: »I try to base myself, unlike<br />

Rawls, entirely on the formal properties of the moral concepts as revealed by the logical study of<br />

moral language«.<br />

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