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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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II.<br />

Die diskurstheoretis<strong>ch</strong> notwendigen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

1. Eine Modifikation <strong>der</strong> Argumentationsfolge Alexys<br />

Um den S<strong>ch</strong>ritt von <strong>der</strong> spra<strong>ch</strong>pragmatis<strong>ch</strong>en Geltung <strong>der</strong> Diskursregeln hin zur<br />

Geltung <strong>der</strong> Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te im Handeln zu vollziehen, kann im wesentli<strong>ch</strong>en an die<br />

Argumentationsfolge von Alexy angeknüpft werden, wobei allerdings bei <strong>der</strong> empiris<strong>ch</strong>en<br />

Prämisse über die Bedingungen <strong>der</strong> Existenz realer Diskurse ('S<strong>ch</strong>ritt 6') größere<br />

Zurückhaltung geboten ist 70 . Die modifizierte Argumentation enthält folgende<br />

Einzels<strong>ch</strong>ritte:<br />

(1) Man kann si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit nur im Diskurs vergewissern. (2) Regierungen<br />

haben ein objektives Interesse an <strong>der</strong> Legitimation ihrer Herrs<strong>ch</strong>aft, müssen also <strong>der</strong>en<br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeit behaupten. (3) Wer an Diskursen teilnimmt, setzt die Autonomie seiner<br />

Gesprä<strong>ch</strong>spartner im Diskurs voraus. (4) Wer ernsthaft an Diskursen teilnimmt<br />

(genuine Diskursteilnahme), will soziale Konflikte dur<strong>ch</strong> diskursiv erzeugte und<br />

kontrollierte Konsense lösen. (5) Wer soziale Konflikte dur<strong>ch</strong> Konsense lösen will,<br />

akzeptiert die Autonomie seiner Gesprä<strong>ch</strong>spartner au<strong>ch</strong> im Handeln. (6) Wer verhin<strong>der</strong>n<br />

will, daß das Interesse <strong>der</strong> Diskurspartner am Diskurs und damit die Mögli<strong>ch</strong>keit<br />

<strong>der</strong> Legitimation 'auf Null o<strong>der</strong> fast auf Null' sinkt, muß die genuine Diskursteilnahme<br />

wenigstens gelegentli<strong>ch</strong> heu<strong>ch</strong>eln. (7) Wer genuine Diskursteilnahme heu<strong>ch</strong>elt,<br />

erkennt damit die Autonomie seiner Gesprä<strong>ch</strong>spartner im Handeln immer<br />

no<strong>ch</strong> objektiv an.<br />

Was bedeutet dieser eins<strong>ch</strong>ränkend formulierte 'S<strong>ch</strong>ritt 6' <strong>der</strong> Argumentation?<br />

Warum genügt es beispielsweise dem Militärdiktator, daß er 'gelegentli<strong>ch</strong>' eine genuine<br />

Diskursteilnahme heu<strong>ch</strong>elt? Sein objektives Interesse an <strong>der</strong> Legitimation <strong>der</strong><br />

Herrs<strong>ch</strong>aft bes<strong>ch</strong>ränkt si<strong>ch</strong> auf <strong>der</strong>en Stabilität wenigstens zu seinen Lebzeiten 71 . Eine<br />

Legitimation läßt si<strong>ch</strong> zwar ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> Akklamationswahlen, Regierungsdemonstrationen,<br />

Medienkontrolle und ähnli<strong>ch</strong>e Diktaturmittel, son<strong>der</strong>n nur dur<strong>ch</strong> Diskurse<br />

begründen. Do<strong>ch</strong> die empiris<strong>ch</strong>e Prämisse, daß zur Stabilitätssi<strong>ch</strong>erung legitimationsverbürgende<br />

Diskurse nötig sind, kann nur mit abges<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>tem Inhalt aufre<strong>ch</strong>terhalten<br />

werden: Den Betroffenen muß nur (aber au<strong>ch</strong> immerhin) eine Chance<br />

bleiben, daß soziale Konflikte dur<strong>ch</strong> Konsense gelöst werden 72 . Angesi<strong>ch</strong>ts dieser<br />

Motivationslage weiß ein kluger Diktator, daß er ni<strong>ch</strong>t uneinges<strong>ch</strong>ränkt und je<strong>der</strong>zeit<br />

seine Bereits<strong>ch</strong>aft heu<strong>ch</strong>eln muß, das Regieren konsensfähig zu ma<strong>ch</strong>en. Er kann es<br />

si<strong>ch</strong> in vielen Fragen erlauben, Legitimationsmögli<strong>ch</strong>keiten unverblümt zu ignorieren,<br />

kann also beispielsweise öffentli<strong>ch</strong>e Regierungskritik und politis<strong>ch</strong>e Opposition<br />

weitgehend bes<strong>ch</strong>ränken. Dadur<strong>ch</strong> verstößt er we<strong>der</strong> gegen innere Gesetzmäßigkeiten<br />

<strong>der</strong> Kommunikation no<strong>ch</strong> gegen sein (pragmatis<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>ränktes) Interesse an<br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeit. Wenn allerdings die Herrs<strong>ch</strong>aft vollständig in ein offenes Unre<strong>ch</strong>tsregime<br />

ums<strong>ch</strong>lägt, weil ni<strong>ch</strong>t einmal ein Anspru<strong>ch</strong> auf Ri<strong>ch</strong>tigkeit erhoben wird und<br />

70 Dazu oben S. 302 ff. (Kritik an <strong>der</strong> Notwendigkeit <strong>der</strong> genuinen Diskursteilnahme). Der 'S<strong>ch</strong>ritt 6'<br />

<strong>der</strong> Begründung bei Alexy wurde wie folgt <strong>ch</strong>arakterisiert: '(6) Wer verhin<strong>der</strong>n will, daß das Interesse<br />

<strong>der</strong> Diskurspartner am Diskurs und damit die Mögli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> Legitimation »auf Null o<strong>der</strong><br />

fast auf Null« sinkt, <strong>der</strong> muß die genuine Diskursteilnahme wenigstens heu<strong>ch</strong>eln.'<br />

71 Vgl. hierzu und zum folgenden die Bespre<strong>ch</strong>ung <strong>der</strong> Argumentationsfolge Alexys oben S. 250 ff.<br />

(Begründung von Freiheit und Demokratie).<br />

72 Vgl. oben S. 302 ff. (Kritik und Beispiele zur Motivation für eine Diskursteilnahme).<br />

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