Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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Setzt man D 1 in D 2 ein, so erhält man die vollständige Fassung:<br />
D 2 ':<br />
Eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie ist eine Theorie über das Anführen<br />
von Gründen für o<strong>der</strong> gegen die Behauptung <strong>der</strong><br />
Ri<strong>ch</strong>tigkeit und Pfli<strong>ch</strong>tigkeit einer Handlungsweise in<br />
bezug auf an<strong>der</strong>e unter dem Gesi<strong>ch</strong>tspunkt <strong>der</strong> Glei<strong>ch</strong>heit.<br />
Normbezogen kann definiert werden:<br />
D 2N :<br />
Eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie ist eine Theorie über die Geltung<br />
von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen.<br />
1. Ein s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>er Begriff des Begründens<br />
Mit D 2 ist ein s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>er Begriff des Begründens und demzufolge eine weite Definition<br />
<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie gemeint. Es kommt ni<strong>ch</strong>t darauf an, von wel<strong>ch</strong>er Art die<br />
Begründung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist. Selbst einfa<strong>ch</strong>e Glaubensbekenntnisse (etwa die<br />
Aussage, daß die Handlungsweise na<strong>ch</strong> den 10 Geboten <strong>der</strong> Bibel gere<strong>ch</strong>t ist, weil es<br />
si<strong>ch</strong> um Gesetze Gottes handelt) genügen als Gründe für die Behauptung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />
im Sinne von D 2 . Dadur<strong>ch</strong> sind selbst sol<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> einbezogen, die ledigli<strong>ch</strong><br />
Bekenntnisse explizieren; au<strong>ch</strong> auf die Naturre<strong>ch</strong>tslehren wird Bezug genommen<br />
179 . Das Begründen <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im Sinne von D 2 hat zwar immer etwas<br />
mit Universalität zu tun 180 . Do<strong>ch</strong> Universalität kann in sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Weise<br />
verstanden werden. Das Spektrum rei<strong>ch</strong>t (mindestens) von spontaner sozialer Homogenität<br />
bis zu kategoris<strong>ch</strong>er Geltung unabhängig von Raum und Zeit 181 . Dementspre<strong>ch</strong>end<br />
unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> können au<strong>ch</strong> die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien ausfallen. Von<br />
kommunitaristis<strong>ch</strong>er Gruppenbezogenheit bis zu idealistis<strong>ch</strong>en Weltre<strong>ch</strong>tssystemen<br />
erfüllen unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>ste soziale Ordnungsmodelle die Kriterien von D 2<br />
182. Die<br />
Grenze von begründetem zu ni<strong>ch</strong>t begründetem Handeln wird ni<strong>ch</strong>t einmal dann in<br />
jedem Fall übers<strong>ch</strong>ritten, wenn Akte allein auf konkret-individueller Willkür beruhen.<br />
Zwar s<strong>ch</strong>ließt das Begründen mindestens ein Behaupten intersubjektiver Gültigkeit<br />
ein – Gründe wollen vermittelt werden. Do<strong>ch</strong> wenn ein <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sskeptiker<br />
den Standpunkt einnimmt, daß die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns überhaupt ni<strong>ch</strong>t be-<br />
179 Vgl. oben S. 66 (idealistis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffe); unten S. 89 (ontologis<strong>ch</strong>e Naturre<strong>ch</strong>tslehren).<br />
180 Vgl. zur Beziehung zwis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung und Universalität M. Fisk, Justice and<br />
Universality (1995), S. 221 ff.; sowie U. Steinvorth, Glei<strong>ch</strong>e Freiheit (1999), S. 38 ff. zum notwendigen<br />
Universalismus <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>en Philosophie.<br />
181 Insbeson<strong>der</strong>e zu perspektivis<strong>ch</strong>er und ni<strong>ch</strong>tperspektivis<strong>ch</strong>er Universalität siehe M. Fisk, Justice<br />
and Universality (1995), S. 227 ff.<br />
182 Diese Vielfalt <strong>der</strong> <strong>Theorien</strong> entspri<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Vielfalt bei den Gegenständen <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>; dazu<br />
oben S. 62 ff. (Vielfalt <strong>der</strong> Gegenstände <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, Transponierbarkeitsthese). Rawls legt<br />
seinem Entwurf einen engeren Begriff <strong>der</strong> normativen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie zugrunde, nämli<strong>ch</strong><br />
den einer politis<strong>ch</strong>-sozialen Institutionenlehre. Aufgabe einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie sei ledigli<strong>ch</strong><br />
die Entwicklung einer moralis<strong>ch</strong>en Konzeption für politis<strong>ch</strong>e, soziale und ökonomis<strong>ch</strong>e Institutionen;<br />
J. Rawls, Theory of Justice (1971), § 41, S. 258 ff.<br />
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