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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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Zu den gegenwärtig vertretenen <strong>Theorien</strong>, die einen Utilitarismus um normative<br />

Bes<strong>ch</strong>ränkungen ergänzen, gehört <strong>der</strong> '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sutilitarismus' von Trapp 90 .<br />

Au<strong>ch</strong> hier werden die Präferenzen <strong>der</strong> Einzelnen in die Gesamtheit <strong>der</strong> individuellen<br />

Nutzenfunktionen eingere<strong>ch</strong>net 91 . In <strong>der</strong> Ents<strong>ch</strong>eidungsfindung über die Handlungsweise<br />

mit dem größten Gesamtnutzen sollen dabei au<strong>ch</strong> moralis<strong>ch</strong>e Präferenzen<br />

eingehen, also etwa die individuelle Befriedigung, die eine Person daraus zieht, daß<br />

sie si<strong>ch</strong> wohltätig verhält 92 . Zu einem normativ angerei<strong>ch</strong>erten '<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sutilitarismus'<br />

wird das Kalkül spätestens dadur<strong>ch</strong>, daß bestimmte Präferenzen, etwa Sadismus,<br />

als illegitim ausges<strong>ch</strong>lossen werden 93 .<br />

Der ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong>e 94 Utilitarismus Harsanyis versu<strong>ch</strong>t, zwei Grundprobleme<br />

des klassis<strong>ch</strong>en Utilitarismus zu überwinden: den Einzelaktbezug und die<br />

interpersonalen Nutzenverglei<strong>ch</strong>e. Als Regelutilitarismus anerkennt die Theorie den<br />

einzelaktunabhängigen Nutzen, den Personen einem System von individuellen Re<strong>ch</strong>ten<br />

und Pfli<strong>ch</strong>ten zuweisen 95 . Es soll ihnen dadur<strong>ch</strong> mögli<strong>ch</strong> sein, moralis<strong>ch</strong>e Prinzipien<br />

aus Eigennutz anzuerkennen (moral commitment), selbst wenn sie im einzelnen<br />

Anwendungsfall einmal ni<strong>ch</strong>t nützli<strong>ch</strong> sein sollten. Das Nutzenkalkül will Harsanyi<br />

plausibler ma<strong>ch</strong>en, indem er (in Anknüpfung an die kardinalen Nutzenfunktionen<br />

<strong>der</strong> Spieltheorie) die Interaktionspartner den Nutzen an<strong>der</strong>er aus <strong>der</strong>en Si<strong>ch</strong>t (ni<strong>ch</strong>t<br />

aus <strong>der</strong> eigenen) eins<strong>ch</strong>ätzen läßt 96 . Interpersonale Nutzenverglei<strong>ch</strong>e werden so<br />

dur<strong>ch</strong> ein Verfahren ersetzt, das dem Abglei<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er Handlungsstrategien<br />

in <strong>der</strong> Spieltheorie entspri<strong>ch</strong>t. Für eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>skonzeption ist es dann ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr nötig, einen interpersonal gültigen Maßstab für Nutzen festzulegen 97 .<br />

Beide Beispiele zeigen, wie <strong>der</strong> klassis<strong>ch</strong>e Utilitarismus zu einer mo<strong>der</strong>nen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie<br />

weiterentwickelt werden kann. Do<strong>ch</strong> bleiben sie dabei stets dem<br />

Ziel verhaftet, daß die Legitimation im größten Glück <strong>der</strong> größten Zahl liegt. Dieses<br />

90 R. Trapp, 'Ni<strong>ch</strong>t-klassis<strong>ch</strong>er' Utilitarismus (1988), S. 297 ff.<br />

91 R. Trapp, 'Ni<strong>ch</strong>t-klassis<strong>ch</strong>er' Utilitarismus (1988), S. 292 ff. – individuelle Interessen.<br />

92 Vgl. R. Trapp, 'Ni<strong>ch</strong>t-klassis<strong>ch</strong>er' Utilitarismus (1988), S. 311 – summum bonorum; S. 323 –<br />

angenommene Präferenzen.<br />

93 R. Trapp, 'Ni<strong>ch</strong>t-klassis<strong>ch</strong>er' Utilitarismus (1988), S. 323 ff. (324) – »ethis<strong>ch</strong>er Filter«; <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sutilitarismus<br />

sei »axiologis<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t autark«.<br />

94 Vgl. unten S. 174 – Harsanyis Verbindung von Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie und Utilitarismus impliziert<br />

ni<strong>ch</strong>t, daß Ents<strong>ch</strong>eidungstheoretiker generell zum Utilitarismus neigen. Ohne moraltheoretis<strong>ch</strong>e<br />

Zusätze bleiben sol<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> vielmehr Mikrotheorien, die allenfalls den Makrotheorien des<br />

neohobbesianis<strong>ch</strong>en Sozialvertrags zuzuordnen sind. Harsanyi ist in seinen moralis<strong>ch</strong>en Theorieerweiterungen<br />

unter den Ents<strong>ch</strong>eidungstheoretikern eine Ausnahme; vgl. D. Gauthier, On the Refutation<br />

of Utilitarianism (1982), S. 144 ff. – utilitaristis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> von Bentham bis Harsanyi seien<br />

inkompatibel mit <strong>der</strong> Konzeption praktis<strong>ch</strong>er Vernunft in Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien.<br />

95 J.C. Harsanyi, Morality and the Theory of Rational Behaviour (1977), S. 56 ff.; <strong>der</strong>s., Rule Utilitarianism,<br />

Rights, Obligations and the Theory of Rational Behavior (1980), S. 115: »The most important<br />

advantage that rule utilitarianism as an ethical theory has over act utilitarianism lies in ist ability<br />

to give full recognition to the moral and social importance of individual rights and personal obligations.«<br />

(Hervorhebung bei Harsanyi).<br />

96 Vgl. J.C. Harsanyi, Maximin Principle (1975), S. 600: »Consequently, vNM [von Neumann-Morgenstern]<br />

utility functions have a completely legitimate place in ethics because they express the subjective<br />

importance people atta<strong>ch</strong> to their vaious needs and interests.«<br />

97 Vgl. J.C. Harsanyi, Maximin Principle (1975), S. 600 – Beispiel zum 'concept of justice'.<br />

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