Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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haupt von 'Re<strong>ch</strong>t' die Rede sein kann 14 . Der Begriff des Re<strong>ch</strong>ts 15 ist indes umstritten,<br />
wobei die Frage des moralis<strong>ch</strong>en Mindestgehalts plakativ unter dem Titel 'Naturre<strong>ch</strong>tslehre<br />
versus Re<strong>ch</strong>tspositivismus' verhandelt wird 16 . Allgemeine Aussagen zu<br />
dieser Debatte sind vor allem deshalb s<strong>ch</strong>wierig, weil sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Spielarten<br />
des Re<strong>ch</strong>tspositivismus entwickelt wurden 17 . Na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Trennungsthese, die für<br />
re<strong>ch</strong>tspositivistis<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> <strong>ch</strong>arakteristis<strong>ch</strong> ist 18 , gibt es keinen begriffsnotwendigen<br />
Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>t und Moral: je<strong>der</strong> beliebige Inhalt kann gelten-<br />
14 So im voraufkläreris<strong>ch</strong>en, naturre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>ts- und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sverständnis, etwa bei G.W.<br />
Leibniz, Méditation sur la notion commune de la justice (ca. 1674), S. 667: »Re<strong>ch</strong>t kann ni<strong>ch</strong>t ungere<strong>ch</strong>t<br />
sein – das wäre ein Wi<strong>der</strong>spru<strong>ch</strong> – aber das Gesetz kann es sein.« Ähnli<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> G. Jellinek,<br />
Die socialethis<strong>ch</strong>e Bedeutung von Re<strong>ch</strong>t, Unre<strong>ch</strong>t und Strafe (1878), S. 42: »Das Re<strong>ch</strong>t ist ni<strong>ch</strong>ts<br />
An<strong>der</strong>es, als das ethis<strong>ch</strong>e Minimum. Objectiv sind es die Erhaltungsbedingungen <strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aft,<br />
soweit sie vom mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Willen abhängig sind, also das Existenzminimum ethis<strong>ch</strong>er Normen,<br />
subjectiv ist es das Minimum sittli<strong>ch</strong>er Lebensbethätigung und Gesinnung, wel<strong>ch</strong>es von den<br />
Gesells<strong>ch</strong>aftsglie<strong>der</strong>n gefor<strong>der</strong>t wird.« (Hervorhebung bei Jellinek).<br />
15 Vgl. aus <strong>der</strong> umfangrei<strong>ch</strong>en Literatur zum Begriff des Re<strong>ch</strong>ts die Bestimmungsversu<strong>ch</strong>e bei H.L.A.<br />
Hart, Positivism and the Separation of Law and Morals (1958), S. 622 ff. – notwendiger moralis<strong>ch</strong>er<br />
Mindestgehalt; <strong>der</strong>s., Concept of Law (1961) – re<strong>ch</strong>tspositivistis<strong>ch</strong>e Bestimmung, allerdings<br />
mit Ausnahmen auf S. 189 ff. (minimum content of natural law) sowie S. 202 (rules must be intelligible<br />
and, in general, not retrospective); L.L. Fuller, Morality of Law (1964), S. 95 ff., 152 ff. (internal morality<br />
of law); F. Bydlinski, Juristis<strong>ch</strong>e Methodenlehre und Re<strong>ch</strong>tsbegriff (1982), S. 177 ff., 317 ff. (»wertbezogener«<br />
Re<strong>ch</strong>tsbegriff); R. Dreier, Der Begriff des Re<strong>ch</strong>ts (1984), S. 95 ff.; R. Alexy, Begriff und Geltung<br />
des Re<strong>ch</strong>ts (1992), S. 18 ff., 31 ff. (beide zur ni<strong>ch</strong>tpositivistis<strong>ch</strong>en Bestimmung des Re<strong>ch</strong>tsbegriffs).<br />
Na<strong>ch</strong>weise zur späteren Diskussion bei M. Kaufmann, Re<strong>ch</strong>tsphilosophie (1996), S. 199 ff.;<br />
A. Englän<strong>der</strong>, Zur begriffli<strong>ch</strong>en Mögli<strong>ch</strong>keit des Re<strong>ch</strong>tspositivismus (1997), S. 437 ff. Klassikertexte<br />
zum Begriff des Re<strong>ch</strong>ts finden si<strong>ch</strong> versammelt bei W. Maihofer, Begriff und Wesen des Re<strong>ch</strong>ts<br />
(1973).<br />
16 Aus <strong>der</strong> Literatur etwa H.L.A. Hart, Positivism and the Separation of Law and Morals (1958),<br />
S. 601 (ambiguous use of »positivism«); <strong>der</strong>s., Concept of Law (1961), S. 181 ff. (natural law and legal<br />
positivism); F. Wieacker, Zum heutigen Stand <strong>der</strong> Naturre<strong>ch</strong>tsdiskussion (1965), S. 1 ff.; R. Alexy,<br />
Begriff und Geltung des Re<strong>ch</strong>ts (1992), S. 18 ff. (praktis<strong>ch</strong>e Bedeutung des Streits um den Re<strong>ch</strong>tspositivismus);<br />
J. Renzikowski, Naturre<strong>ch</strong>tslehre versus Re<strong>ch</strong>tspositivismus – ein Streit um Worte?<br />
(1995), S. 335 ff.; M. Kaufmann, Re<strong>ch</strong>tsphilosophie (1996), S. 30 ff., 138 ff. Vgl. au<strong>ch</strong> unten S. 89<br />
(Naturre<strong>ch</strong>tslehren).<br />
17 Zur Bandbreite re<strong>ch</strong>tspositivistis<strong>ch</strong>er <strong>Theorien</strong> mit unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>er S<strong>ch</strong>werpunktsetzung und<br />
unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en, teils sogar wi<strong>der</strong>sprü<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Einzelaussagen zählen J.L. Austins Imperativentheorie,<br />
H. Kelsens Reine Re<strong>ch</strong>tslehre, H.L.A. Harts analytis<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tstheorie und au<strong>ch</strong> N. Luhmanns<br />
systemtheoretis<strong>ch</strong>er Prozeduralismus. Bei einer Entgegensetzung von Re<strong>ch</strong>tspositivismus<br />
und Naturre<strong>ch</strong>tslehre ist in aller Regel ein Re<strong>ch</strong>tspositivismus gemeint, <strong>der</strong> glei<strong>ch</strong>zeitig die starke<br />
These des metaethis<strong>ch</strong>en Nonkognitivismus vertritt, also behauptet, daß in Fragen <strong>der</strong> Moral keine<br />
Erkenntnis mögli<strong>ch</strong> ist. Das kann z.B. für H.L.A. Hart verneint werden und ist selbst bei H. Kelsen<br />
ni<strong>ch</strong>t eindeutig festzustellen, da ein Skeptizismus im engeren Sinne ni<strong>ch</strong>t notwendig Nonkognitivismus<br />
bedeutet. Statt eine paus<strong>ch</strong>ale Entgegensetzung zum Re<strong>ch</strong>tspositivismus zu versu<strong>ch</strong>en,<br />
ist es deshalb treffen<strong>der</strong>, <strong>der</strong> Naturre<strong>ch</strong>tslehre den moralis<strong>ch</strong>en Skeptizismus gegenüberzustellen;<br />
dazu unten S. 82 (nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>e Grundposition).<br />
18 Exemplaris<strong>ch</strong> H. Kelsen, Das Problem <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1960), S. 360: »In dieser Unabhängigkeit<br />
<strong>der</strong> Geltung des positiven Re<strong>ch</strong>ts von seinem Verhältnis zu einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm liegt <strong>der</strong><br />
wesentli<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en Naturre<strong>ch</strong>tslehre und Re<strong>ch</strong>tspositivismus.« Zu an<strong>der</strong>en, teils<br />
weitergehenden re<strong>ch</strong>tspositivistis<strong>ch</strong>en Kernthesen (Imperativentheorie, Nonkognitivismus) vgl.<br />
H.L.A. Hart, Positivism and the Separation of Law and Morals (1958), S. 593 ff. sowie die Analyse<br />
von fünf positivistis<strong>ch</strong>en Grundthesen bei W. Kersting, Re<strong>ch</strong>tsverbindli<strong>ch</strong>keit und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />
bei Thomas Hobbes (1998), S. 358 f.<br />
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