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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> resultiert, mit dessen Hilfe si<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>ste <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

untersu<strong>ch</strong>en lassen.<br />

1. Der Handlungsbezug<br />

Die begriffli<strong>ch</strong>e Notwendigkeit eines Handlungsbezuges folgt daraus, daß <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>surteile<br />

Antworten auf die Grundfrage praktis<strong>ch</strong>er Philosophie geben: 'Was soll<br />

i<strong>ch</strong> tun?'. Der Annahme eines Handlungsbezuges steht ni<strong>ch</strong>t entgegen, daß die Prädikate<br />

'gere<strong>ch</strong>t' und 'ungere<strong>ch</strong>t' au<strong>ch</strong> auf an<strong>der</strong>e Gegenstände angewendet werden<br />

können, man also ni<strong>ch</strong>t nur Handlungen als 'gere<strong>ch</strong>t' würdigt o<strong>der</strong> als 'ungere<strong>ch</strong>t'<br />

kritisiert, son<strong>der</strong>n au<strong>ch</strong> Personen, Gesetze, Institutionen, Staaten, Verteilungsergebnisse<br />

und vieles mehr (Transponierbarkeitsthese) 41 .<br />

2. Der Ri<strong>ch</strong>tigkeitsbezug<br />

In D 1 ist außerdem die 'Ri<strong>ch</strong>tigkeit' ein Begriffselement <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Der Anspru<strong>ch</strong><br />

auf <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist ein Son<strong>der</strong>fall des Anspru<strong>ch</strong>s auf Ri<strong>ch</strong>tigkeit 42 . Es ist<br />

dana<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>, eine Handlung als 'gere<strong>ch</strong>t' und glei<strong>ch</strong>zeitig als 'fals<strong>ch</strong>' zu bezei<strong>ch</strong>nen,<br />

etwa mit <strong>der</strong> Begründung, daß es no<strong>ch</strong> an<strong>der</strong>e, im Gewi<strong>ch</strong>t überwiegende<br />

Urteilsgründe neben <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gebe. Die umfassend zu verstehende 'Ri<strong>ch</strong>tigkeit'<br />

in D 1 läßt so<strong>ch</strong>en Zwiespalt ni<strong>ch</strong>t zu. Dadur<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> dieser <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff,<br />

wie no<strong>ch</strong> zu zeigen sein wird, von dem Begriff <strong>der</strong> Einzelfallgere<strong>ch</strong>tigkeit<br />

43 . Die 'Ri<strong>ch</strong>tigkeit' in D 1 bes<strong>ch</strong>ränkt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auf einzelne Kriterien, also<br />

beispielsweise ni<strong>ch</strong>t auf 'Ri<strong>ch</strong>tigkeit im Sinne des Gesetzes' (Legalität) o<strong>der</strong> 'Ri<strong>ch</strong>tigkeit<br />

in bezug auf materielle Vorteile' (ökonomis<strong>ch</strong>e Rationalität), son<strong>der</strong>n for<strong>der</strong>t eine<br />

Gesamtbetra<strong>ch</strong>tung aller mögli<strong>ch</strong>en Gründe. Nur ein Handeln, das dieser umfassenden<br />

Ri<strong>ch</strong>tigkeitsprüfung standhält, kann gere<strong>ch</strong>t sein.<br />

Die 'Ri<strong>ch</strong>tigkeit' in D 1 ist dabei offen für materiale, prozedurale o<strong>der</strong> formale<br />

Konkretisierungen. Material kann man Ri<strong>ch</strong>tigkeit beispielsweise verstehen, indem<br />

man sie nur für ein Handeln gelten läßt, das bestimmten inhaltli<strong>ch</strong>en, historis<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

kontingenten, für das Bestehen je<strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aft notwendigen Regeln über die Art<br />

und Weise <strong>der</strong> Behandlung des jeweils an<strong>der</strong>en entspri<strong>ch</strong>t 44 . Ein prozedurales Verständnis<br />

von Ri<strong>ch</strong>tigkeit – und dies ist ein Charakteristikum <strong>der</strong> prozeduralen <strong>Theorien</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> – liegt vor, wenn die Ri<strong>ch</strong>tigkeit einer Handlung si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong><br />

Ents<strong>ch</strong>eidungsverfahren beurteilt. Formal wird die Bestimmung <strong>der</strong> Ri<strong>ch</strong>tigkeit,<br />

wenn man sie allein von einem formalen Kriterium abhängen lässt, beispielsweise<br />

dem größtmögli<strong>ch</strong>en Gesamt- o<strong>der</strong> Dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>nittsnutzens 45 . Au<strong>ch</strong> ein sol<strong>ch</strong>es formales<br />

Verständnis ist geeignet, den <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff auszufüllen. Diese Offenheit<br />

41 Dazu oben S. 48 (Transponierbarkeitsthese).<br />

42 R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 242.<br />

43 Dazu unten S. 63 (engere <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriffe).<br />

44 Vgl. B. Gert, Die moralis<strong>ch</strong>en Regeln (1966), S. 116 ff. (129) – die ersten fünf Regeln: verursa<strong>ch</strong>e<br />

keinen Tod, keine S<strong>ch</strong>erzen, keine Unfähigkeit, keinen Freiheitsverlust, keinen Lustverlust.<br />

45 Dazu unten S. 154 (Utilitarismus).<br />

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