Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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gründbar ist, so ist au<strong>ch</strong> das eine Begründung dafür, alle Handlungen als glei<strong>ch</strong> ungere<strong>ch</strong>t<br />
anzusehen 183 . Überhaupt kommt es für die Qualifikation einer Theorie als<br />
<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie ni<strong>ch</strong>t auf die tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Überzeugungskraft <strong>der</strong> Gründe an.<br />
2. Die politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (S<strong>ch</strong>werpunktthese, D 1P )<br />
Aus re<strong>ch</strong>tstheoretis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t ist ni<strong>ch</strong>t die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> insgesamt, son<strong>der</strong>n nur die<br />
politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> interessant, d.h. diejenige »von einem moralis<strong>ch</strong>en Standpunkt<br />
gegenüber Re<strong>ch</strong>t und Staat« 184 . Denn soweit die Re<strong>ch</strong>tstheorie si<strong>ch</strong> mit <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />
befaßt, ergründet sie <strong>der</strong>en Bedeutung für das Re<strong>ch</strong>t. Da nur die re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> geregelte<br />
o<strong>der</strong> re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> regelbare Sphäre mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Handelns interessiert, bleiben aus<br />
re<strong>ch</strong>tstheoretis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t bestimmte Aspekte <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> bedeutungslos 185 . So<br />
gehört zwar die Frage, ob ein Ri<strong>ch</strong>ter o<strong>der</strong> Abgeordneter gegen seine Freunde unehrli<strong>ch</strong><br />
ist, gemäß D 1 zur <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, weil hier jemand in bezug auf an<strong>der</strong>e fals<strong>ch</strong> handelt<br />
186 . Sie ist aber von <strong>der</strong> Frage zu unters<strong>ch</strong>eiden, ob si<strong>ch</strong> ein Ri<strong>ch</strong>ter o<strong>der</strong> Abgeordneter<br />
in Ausübung seines Amtes korrumpieren läßt 187 . Nur im zweiten Fall handelt<br />
es si<strong>ch</strong> um re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> geregelte o<strong>der</strong> regelbare Handlungsweisen – um politis<strong>ch</strong>e<br />
<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>. Damit teilt si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff entlang <strong>der</strong> Di<strong>ch</strong>otomie<br />
von Staat und Gesells<strong>ch</strong>aft und gründet so auf die relative Autonomie <strong>der</strong><br />
Re<strong>ch</strong>tsordnung gegenüber an<strong>der</strong>en sozialen Ordnungssystemen 188 . Soziale Ordnung<br />
wirft in allen Modalitäten, seien sie re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> o<strong>der</strong> gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sfragen<br />
auf, do<strong>ch</strong> nur diejenigen im Regelungsberei<strong>ch</strong> des Staates sollen im folgenden interessieren.<br />
In Anlehnung an D 1N kann formuliert werden:<br />
D 1P :<br />
Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ist die Geltung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />
als Re<strong>ch</strong>tsnormen.<br />
Die Bes<strong>ch</strong>ränkung auf politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> mag zunä<strong>ch</strong>st als gewi<strong>ch</strong>tige Eins<strong>ch</strong>ränkung<br />
ers<strong>ch</strong>einen. Das täus<strong>ch</strong>t. Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>äftigen si<strong>ch</strong> die meisten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />
auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> o<strong>der</strong> ganz überwiegend mit politis<strong>ch</strong>er <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>.<br />
Dur<strong>ch</strong> die »vollständige Verstaatli<strong>ch</strong>ung <strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aft« 189 sind fast alle<br />
sozialen Fragen zumindest in ihren Rahmenbedingungen au<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> bestimmt, so<br />
183 Vgl. etwa F. Nietzs<strong>ch</strong>e, Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es, Allzumens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es, Bd. 1 (1878), Vorrede: »Du solltest die<br />
notwendige Ungere<strong>ch</strong>tigkeit in jedem Für und Wi<strong>der</strong> begreifen lernen, die Ungere<strong>ch</strong>tigkeit als unablösbar<br />
vom Leben« (Hervorhebung bei Nietzs<strong>ch</strong>e). Dazu unten S. 143 ff. (nietzs<strong>ch</strong>eanis<strong>ch</strong>e<br />
Grundposition).<br />
184 Definition bei O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 59; ähnli<strong>ch</strong> S. 28: »die sittli<strong>ch</strong>e Perspektive<br />
auf Re<strong>ch</strong>t und Staat«.<br />
185 Dazu oben S. 38 (<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tstheorie).<br />
186 Vgl. oben S. 50 (D 1 ); S. 56 ff. (weit verstandener Glei<strong>ch</strong>heitsbezug).<br />
187 Zu diesem Beispiel siehe O. Höffe, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Taus<strong>ch</strong>? (1991), S. 13.<br />
188 Zum autopoietis<strong>ch</strong>en Autonomiebegriff als <strong>der</strong> 'operativen Ges<strong>ch</strong>lossenheit eines Systems' und<br />
zur systemtheoretis<strong>ch</strong>en These von <strong>der</strong> relativen Autonomie des Re<strong>ch</strong>ts vgl. N. Luhmann, Das<br />
Re<strong>ch</strong>t <strong>der</strong> Gesells<strong>ch</strong>aft (1993), S. 62 ff. Ob diese These ri<strong>ch</strong>tig ist, kann hier ni<strong>ch</strong>t untersu<strong>ch</strong>t werden.<br />
189 So die weitgehende, aber inzwis<strong>ch</strong>en für die meisten Staaten wohl zutreffende Eins<strong>ch</strong>ätzung bei<br />
A. Aarnio, Zur Legitimation des Re<strong>ch</strong>ts (1989), S. 144.<br />
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