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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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2. Die diskursive Notwendigkeit von Normen<br />

Ein zweiter Argumentationsweg, in dem <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen unabhängig von<br />

konkreten Diskursen, also unmittelbar, begründet werden, liegt vor, wenn gezeigt<br />

wird, daß eine Norm notwendige Folge <strong>der</strong> Diskursregeln ist, also in jedem denkbaren<br />

Diskurs als Ergebnis bestätigt werden müßte (diskursive Notwendigkeit). Bei einem<br />

hypothetis<strong>ch</strong>en Diskurs ergibt si<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>wierigkeit, daß dafür erhebli<strong>ch</strong>es empiris<strong>ch</strong>es<br />

Wissen und Prognosen über das Diskussionsverhalten aller Betroffenen erfor<strong>der</strong>li<strong>ch</strong><br />

sind 15 . Die unmittelbare Begründung einer <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm als diskursiv<br />

notwendig ist mit <strong>der</strong> Unsi<strong>ch</strong>erheit belastet, daß sie s<strong>ch</strong>on falsifiziert werden kann,<br />

indem eine einzige empiris<strong>ch</strong>e Prämisse o<strong>der</strong> Verhaltensprognose wi<strong>der</strong>legt wird 16 .<br />

Häufig sind über hypothetis<strong>ch</strong>e Konsense nur Spekulationen mögli<strong>ch</strong>, so daß si<strong>ch</strong><br />

die Aussagen auf wenige elementare Fälle bes<strong>ch</strong>ränken müssen, in denen si<strong>ch</strong> mit<br />

hinrei<strong>ch</strong>en<strong>der</strong> Si<strong>ch</strong>erheit sagen läßt, was ein notwendiges Ergebnis unabhängig von<br />

<strong>der</strong> tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Dur<strong>ch</strong>führung einzelner <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdiskurse sei 17 .<br />

Au<strong>ch</strong> die unmittelbar als diskursiv notwendig begründeten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

sind universalistis<strong>ch</strong> in dem Sinne, daß si<strong>ch</strong> Diskursteilnehmer zu allen Zeiten<br />

und an allen Orten auf sie einigen müßten. Mögli<strong>ch</strong>e Kandidaten für sol<strong>ch</strong>e Normen<br />

sind beispielsweise prinzipielle Tötungsverbote. Will man mögli<strong>ch</strong>st konkrete <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgebote<br />

herleiten, so ers<strong>ch</strong>eint es am aussi<strong>ch</strong>tsrei<strong>ch</strong>sten, die diskursive mit<br />

<strong>der</strong> diskurstheoretis<strong>ch</strong>en Begründung zu verbinden. Dabei wird argumentiert, daß<br />

unter den Bedingungen einer Sozialordnung, die den diskurstheoretis<strong>ch</strong> notwendigen<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sgeboten entspri<strong>ch</strong>t (z.B.: Gebot einer minimalen Volkssouveränität<br />

18 ), je<strong>der</strong> Diskurs über die Konkretisierung dieser Gebote notwendig zu bestimmten<br />

Ergebnissen gelangen muß (z.B. Geltung <strong>der</strong> Wahlre<strong>ch</strong>tsgrundsätze 19 ). Diese Ergebnisse<br />

bilden dann selbst wie<strong>der</strong>um universalistis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen.<br />

3. Die diskursive Mögli<strong>ch</strong>keit von Normen<br />

Eine mittelbare Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen liegt darin, bestimmte diskurstheoretis<strong>ch</strong><br />

begründete Anfor<strong>der</strong>ungen zu formulieren, die si<strong>ch</strong>erstellen, daß die<br />

in tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> stattfindenden Einzelverfahren begründeten Normen gere<strong>ch</strong>t sind 20 .<br />

Die so begründeten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen sind zumindest diskursiv mögli<strong>ch</strong>, etwa<br />

wenn si<strong>ch</strong> ein Parlament ents<strong>ch</strong>ließt, eine Quellensteuer auf Kapitalgewinne zu verabs<strong>ch</strong>ieden.<br />

Sie sind darüber hinaus diskursiv notwendig, wenn kein Fall eines anfor<strong>der</strong>ungsgere<strong>ch</strong>ten<br />

Verfahrens denkbar ist, in dem sie abgelehnt würden, wenn ihre<br />

Ni<strong>ch</strong>t-Geltung also diskursiv unmögli<strong>ch</strong> ist 21 . Eine sol<strong>ch</strong>e Prognose läßt si<strong>ch</strong> allenfalls<br />

für ganz grundlegende <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen abgeben; man könnte beispielsweise<br />

15 Vgl. R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 241 – hypothetis<strong>ch</strong>e Kriterien.<br />

16 Zum hier verwendeten Falsifikationsbegriff oben S. 264, Fn. 20.<br />

17 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 157.<br />

18 Dazu unten S. 323 (minimale Volkssouveränität).<br />

19 Dazu unten S. 330 (Begründung <strong>der</strong> Demokratie).<br />

20 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 146.<br />

21 Zum logis<strong>ch</strong>en Verhältnis zwis<strong>ch</strong>en Notwendigkeit und Unmögli<strong>ch</strong>keit von Normen vgl. R. Alexy,<br />

Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 146: »Derartige Re<strong>ch</strong>te sind im engeren Sinne<br />

diskursiv notwendig. Ihre Ni<strong>ch</strong>t-Geltung ist im engeren Sinne diskursiv unmögli<strong>ch</strong>.«<br />

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