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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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Do<strong>ch</strong> selbst wenn man konsequenterweise Drohungen ins Kalkül einbezieht, so<br />

ist no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t geklärt, wel<strong>ch</strong>e Drohungen das sein sollen. Immerhin handelt es si<strong>ch</strong><br />

nur um ein Gedankenspiel: Die Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> findet ni<strong>ch</strong>t<br />

als realer, son<strong>der</strong>n allenfalls als hypothetis<strong>ch</strong>er Sozialvertrag statt. Als Gedankenspiel<br />

aber bleiben au<strong>ch</strong> alle Drohungen hypothetis<strong>ch</strong> – ob A wirkli<strong>ch</strong> versu<strong>ch</strong>en würde,<br />

den B zu einer Kooperation zu zwingen, selbst wenn er dabei unter Umständen<br />

dur<strong>ch</strong> die Gegenwehr des B verletzt werden könnte, ist eine von psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>en<br />

Faktoren im Einzelfall abhängige Frage, die si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t generell für alle mögli<strong>ch</strong>en<br />

Drohungen beantworten läßt. Damit ist die Unbestimmtheit für diejenigen neohobbesianis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Theorien</strong> belegt, die wie die von Lucas Drohungen unberücksi<strong>ch</strong>tigt lassen<br />

wollen, wenn sie ni<strong>ch</strong>t realistis<strong>ch</strong> sind 99 , denn was eine realistis<strong>ch</strong>e Drohung ist,<br />

läßt si<strong>ch</strong> im hypothetis<strong>ch</strong>en Gedankenspiel <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie ni<strong>ch</strong>t beantworten.<br />

Die Unbestimmtheit erweist si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> bei <strong>Theorien</strong>, die wie diejenige<br />

von Braithwaite und Bu<strong>ch</strong>anan jede Drohung als relevant für das Nutzenkalkül akzeptieren.<br />

Diese an<strong>der</strong>sartige Unbestimmtheit läßt si<strong>ch</strong> am obigen Beispiel zeigen: Angenommen,<br />

A bietet B an: 'Wir teilen die Ernte 51% zu 49%, sonst werde i<strong>ch</strong> di<strong>ch</strong> verprügeln.'<br />

Wenn A tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> kräftiger ist als B und dadur<strong>ch</strong> einen Verhandlungsvorteil<br />

hat, <strong>der</strong> in das Drohspiel eingeht, müßte B si<strong>ch</strong> dann ni<strong>ch</strong>t klugerweise auf<br />

das Angebot einlassen? Immerhin ist <strong>der</strong> Na<strong>ch</strong>teil, den er gegenüber einer Glei<strong>ch</strong>verteilung<br />

<strong>der</strong> Ernte hat, relativ geringfügig vergli<strong>ch</strong>en mit dem körperli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>aden,<br />

<strong>der</strong> ihm von einem antagonistis<strong>ch</strong>en A droht. Trotz dieser vermeintli<strong>ch</strong> einfa<strong>ch</strong>en<br />

Ents<strong>ch</strong>eidungssituation ist die Frage des Nutzenkalküls ni<strong>ch</strong>t definitiv zu beantworten.<br />

Bei bloß hypothetis<strong>ch</strong>en Drohungen könnte B beispielsweise einwenden:<br />

'Auf einer Glei<strong>ch</strong>verteilung muß i<strong>ch</strong> bestehen, weil i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> mit einer Bena<strong>ch</strong>teiligung<br />

aus Prinzip ni<strong>ch</strong>t abfinden kann und di<strong>ch</strong>, A, ein Leben lang verfolgen würde,<br />

bis dieses Unre<strong>ch</strong>t gerä<strong>ch</strong>t ist.' Eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie, die jede hypothetis<strong>ch</strong>e<br />

Drohung genügen läßt, müßte au<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e Aussagen des wildents<strong>ch</strong>lossenen B berücksi<strong>ch</strong>tigen.<br />

Dur<strong>ch</strong> die hypothetis<strong>ch</strong>en Drohmögli<strong>ch</strong>keiten werden unter Umständen<br />

die Verhandlungsvorteile, die ohne Drohung bestünden, nivelliert, je na<strong>ch</strong>dem,<br />

wel<strong>ch</strong>e Drohungen konstruiert werden. S<strong>ch</strong>on Hobbes hat den Umstand erkannt, daß<br />

selbst <strong>der</strong> S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>ste eine (hypothetis<strong>ch</strong>e) Bedrohung für den Stärksten werden<br />

kann, und daraus gefolgert, daß alle Mens<strong>ch</strong>en im wesentli<strong>ch</strong>en glei<strong>ch</strong> sind 100 . Darin<br />

liegt eine Nivellierung von Unters<strong>ch</strong>ieden <strong>der</strong> Verhandlungsma<strong>ch</strong>t, die bei allen neohobbesianis<strong>ch</strong>en<br />

<strong>Theorien</strong> zum Unbestimmtheitsproblem führt. Letztli<strong>ch</strong> unterliegt<br />

eine Vorteilskalkulation, die hypothetis<strong>ch</strong>e Drohungen benutzt, einer Beliebigkeit<br />

<strong>der</strong> Ergebnisse.<br />

Man kann diesen Zusammenhang so zu einer Kritik zusammenfassen: Neohobbesianis<strong>ch</strong>e<br />

Nutzenkalkulationen können konsequenterweise hypothetis<strong>ch</strong>e Drohunso<br />

ni<strong>ch</strong>t Re<strong>ch</strong>te, denen die Pfli<strong>ch</strong>ten <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en auf A<strong>ch</strong>tung korrespondieren. Ausführli<strong>ch</strong> zu<br />

dieser Analyse D. Gauthier, The Logic of the Leviathan (1969), S. 30 f.<br />

98 Dazu exemplaris<strong>ch</strong> unten S. 281 ff. (Kritik an <strong>der</strong> Theorie Gauthiers).<br />

99 Zu dieser Konsequenz siehe oben S. 179 (Theorie <strong>der</strong> realistis<strong>ch</strong>en Verhaltenshypothesen).<br />

100 T. Hobbes, Leviathan (1651), Kapitel 13: »Nature has made men so equall, ... the weakest has<br />

strength enough to kill the strongest«.<br />

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