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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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Mögli<strong>ch</strong>keit <strong>der</strong> Legitimation »auf Null o<strong>der</strong> fast auf Null« sinkt, <strong>der</strong> muß die genuine<br />

Diskursteilnahme wenigstens heu<strong>ch</strong>eln 213 . (7) Wer genuine Diskursteilnahme<br />

heu<strong>ch</strong>elt, erkennt damit die Autonomie seiner Gesprä<strong>ch</strong>spartner im Handeln immer<br />

no<strong>ch</strong> objektiv an. Aus alledem folgt, daß staatli<strong>ch</strong>e Herrs<strong>ch</strong>aft die objektive Anerkennung<br />

<strong>der</strong> Autonomie im Handeln (und damit Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te) notwendig voraussetzt.<br />

Kritis<strong>ch</strong> ist allein <strong>der</strong> se<strong>ch</strong>ste S<strong>ch</strong>ritt. Alexy formuliert als Mindestanfor<strong>der</strong>ung dafür,<br />

daß man seine Mitmens<strong>ch</strong>en auf Dauer zur Teilnahme an Diskursen motivieren<br />

kann, die geheu<strong>ch</strong>elte genuine Diskursteilnahme. Dana<strong>ch</strong> muß ein Diskursteilnehmer<br />

zumindest immer vorgeben, sein Handeln na<strong>ch</strong> den Ergebnissen des Diskurses ri<strong>ch</strong>ten<br />

zu wollen und dadur<strong>ch</strong> die Autonomie <strong>der</strong> übrigen Diskursteilnehmer au<strong>ch</strong> im<br />

Handeln anzuerkennen 214 . Ni<strong>ch</strong>t genügend wäre es hingegen, die Freiheit an<strong>der</strong>er<br />

im Diskurs zu a<strong>ch</strong>ten, dabei aber von vornherein offen zuzugeben, daß man sie im<br />

Handeln ni<strong>ch</strong>t zu a<strong>ch</strong>ten gedenke; dann würden für zukünftige Diskurse die Teilnehmer<br />

fehlen 215 . Die geheu<strong>ch</strong>elte genuine Diskursteilnahme bedeutet zwar ni<strong>ch</strong>t,<br />

daß man sein Handeln wirkli<strong>ch</strong> immer na<strong>ch</strong> den Ergebnissen des Diskurses ri<strong>ch</strong>tet,<br />

denn zum 'Heu<strong>ch</strong>eln' gehört es ja gerade, daß Reden und Handeln auseinan<strong>der</strong>fallen<br />

können. Do<strong>ch</strong> das Kriterium verlangt von jedem, wenigsten vorzugeben, si<strong>ch</strong> vollständig<br />

na<strong>ch</strong> den im Diskurs erzielten Konsensen zu ri<strong>ch</strong>ten. Dieses Element in Alexys<br />

Kriterium könnte man als vorgebli<strong>ch</strong>en umfassenden Diskursgehorsam bezei<strong>ch</strong>nen.<br />

Für die Existenz von Diskursen wäre na<strong>ch</strong> dieser Argumentation ein sol<strong>ch</strong>er vorgebli<strong>ch</strong>er<br />

umfassen<strong>der</strong> Diskursgehorsam notwendig.<br />

Es ist aber zweifelhaft, ob man wirkli<strong>ch</strong> umfassenden Diskursgehorsam vorgeben<br />

muß, um die Existenz von Diskursen si<strong>ch</strong>erzustellen. Denn die Bereits<strong>ch</strong>aft zur Diskursteilnahme<br />

wird ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on dann enden ('auf Null o<strong>der</strong> fast auf Null' sinken),<br />

wenn die Beteiligten ihr Handeln zwar ni<strong>ch</strong>t vollständig, aber jedenfalls zu einem erhebli<strong>ch</strong>en<br />

Teil dur<strong>ch</strong> Diskurse beeinflussen lassen. Allein dur<strong>ch</strong> die Chance eines ergebniskonformen<br />

Handelns stellt si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Diskurs als ni<strong>ch</strong>t völlig sinnentleert dar<br />

und lohnt si<strong>ch</strong> für die Teilnehmer. Selbst ein geringer Einfluß des Diskurses auf das<br />

Handeln könnte s<strong>ch</strong>on genügen, um die Diskursteilnahme realistis<strong>ch</strong> werden zu lassen.<br />

Insoweit ähnelt die Motivationslage bei Diskursen <strong>der</strong>jenigen bei Verhandlungen<br />

216 .<br />

213 Zu diesem Argumentationss<strong>ch</strong>ritt R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 152.<br />

214 R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 152 f.<br />

215 Vgl. R. Alexy, Diskurstheorie und Mens<strong>ch</strong>enre<strong>ch</strong>te (1995), S. 152: »Es ist ni<strong>ch</strong>t attraktiv, mit jemandem<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdiskurse zu führen, dessen Gesprä<strong>ch</strong>sangebot die Form hat: 'Bevor i<strong>ch</strong><br />

di<strong>ch</strong> mit Gewalt dazu bringe, na<strong>ch</strong> meinen Vorstellungen zu leben, will i<strong>ch</strong> versu<strong>ch</strong>en, ob i<strong>ch</strong> dieses<br />

Ziel ni<strong>ch</strong>t einfa<strong>ch</strong>er dur<strong>ch</strong> Überredung errei<strong>ch</strong>en kann.'«<br />

216 Von realen politis<strong>ch</strong>en Diskursen kann man spre<strong>ch</strong>en, wenn die Beteiligten ni<strong>ch</strong>t bloß 'verhandelnd'<br />

die we<strong>ch</strong>selseitigen Interessen gegeneinan<strong>der</strong> ausspielen, son<strong>der</strong>n 'argumentierend' um eine<br />

ri<strong>ch</strong>tige Lösung ringen. Zum Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en bargaining und arguing siehe oben S. 232.<br />

Zur Interpretation bestimmter Politikformen als reale Diskurse unten S. 347 ff. Die Motivationslage<br />

ist bei Diskursen und Verhandlungen ganz ähnli<strong>ch</strong>: Eine Oppositionsfraktion beteiligt si<strong>ch</strong><br />

konstruktiv an einem Gesetzgebungsverfahren <strong>der</strong> Regierung, wenn eine Chance besteht, daß ihre<br />

Argumente Auswirkungen haben (Diskurs); eine Gewerks<strong>ch</strong>aft kehrt zur Tarifdiskussion zurück,<br />

wenn überhaupt signifikante Zugeständnisse <strong>der</strong> Arbeitgebervertretung zu erwarten sind<br />

(Verhandlung); eine Wi<strong>der</strong>standsgruppe in einer Militärdiktatur erklärt si<strong>ch</strong> zu Gesprä<strong>ch</strong>en über<br />

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