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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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4. Ergebnisse<br />

Die Spieltheorie als Grundform einer prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie läßt Raum<br />

für eine unendli<strong>ch</strong>e Vielfalt von Prozeduren, mit denen eine Verhandlung über soziale<br />

Kooperation modelliert werden kann. Sie stößt dadur<strong>ch</strong> bei <strong>der</strong> Bestimmung<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> selbst dann auf immanente Grenzen, wenn man die implizierte<br />

Grundregel <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens akzeptiert, na<strong>ch</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> das ist, was si<strong>ch</strong> aus einer am individuellen Vorteil orientierten Verhandlung<br />

ergibt o<strong>der</strong> ergeben könnte. Ohne zusätzli<strong>ch</strong>e normative Argumente über<br />

das Verhandlungsverfahren kann aus <strong>der</strong> Spieltheorie allein keine S<strong>ch</strong>lußfolgerung<br />

für die Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> gezogen werden.<br />

Abgesehen von diesen immanenten Grenzen ist die Spieltheorie als Erklärungsmodell<br />

für eine gere<strong>ch</strong>te soziale Ordnung au<strong>ch</strong> inadäquat. Die im Gemeinwesen<br />

mögli<strong>ch</strong>en Kooperationsvorteile, <strong>der</strong>en Realisierung im Interesse aller Bürger geboten<br />

ist, können allein dur<strong>ch</strong> Eigennutz ni<strong>ch</strong>t erklärt werden. Für die weitgehende<br />

Kooperation, die in gegenwärtigen Sozialordnungen tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> beoba<strong>ch</strong>tbar ist, gibt<br />

es an<strong>der</strong>e als rationalistis<strong>ch</strong>-vorteilsorientierte Gründe. Sol<strong>ch</strong>e Rationalitätspotentiale<br />

werden im letzten Teil dieser Untersu<strong>ch</strong>ung dargelegt 94 .<br />

II.<br />

Zur Kritik am neohobbesianis<strong>ch</strong>en Nutzenkalkül<br />

Die Analyse zur Spieltheorie hat gezeigt, daß ein normativer Rahmen für das Nutzenkalkül<br />

jeweils separat begründet werden muß, um in <strong>der</strong> unendli<strong>ch</strong>en Vielfalt <strong>der</strong><br />

Konkretisierungsmögli<strong>ch</strong>keiten eine bestimmte Ents<strong>ch</strong>eidung als ri<strong>ch</strong>tig auszei<strong>ch</strong>nen<br />

zu können. Daraus läßt si<strong>ch</strong> eine grundlegende Kritik am Neohobbesianismus ableiten,<br />

die zugespitzt als die Unents<strong>ch</strong>eidbarkeit des normativen Rahmens für relevante<br />

Handlungsalternativen bezei<strong>ch</strong>net werden könnte.<br />

Was ist damit gemeint? Da jede neohobbesianis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie letztli<strong>ch</strong><br />

die individuelle Nutzenmaximierung zuläßt und for<strong>der</strong>t, muß sie au<strong>ch</strong> über die<br />

Mittel ents<strong>ch</strong>eiden, die bei <strong>der</strong> Verfolgung des eigenen Nutzens berücksi<strong>ch</strong>tigt werden<br />

sollen. Sie muß den normativen Rahmen des Nutzenkalküls bestimmen. Wenn<br />

für zwei Personen A und B, die eine Kooperation bei <strong>der</strong> Apfelernte planen, <strong>der</strong> kooperationslose<br />

Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt bere<strong>ch</strong>net wird 95 , dann muß ents<strong>ch</strong>ieden werden,<br />

ob dabei au<strong>ch</strong> Drohungen ins Kalkül eingehen. Immerhin könnte es für A die<br />

beste Handlungsstrategie sein, den B zu einem Ernteeinsatz zu zwingen, bei dem A<br />

die gesamte Ernte und B ni<strong>ch</strong>ts erhält. Sogar eine völlige Versklavung des B dur<strong>ch</strong><br />

den A ist im neohobbesianis<strong>ch</strong>en Gedankenspiel ni<strong>ch</strong>t von vornherein ausges<strong>ch</strong>lossen<br />

96 . Innerhalb des Rationalitätsrahmens <strong>der</strong> individuellen Nutzenmaximierung<br />

gibt es keinen normativen S<strong>ch</strong>utz gegen sol<strong>ch</strong>e Drohspiele 97 . <strong>Theorien</strong>, die einen sol<strong>ch</strong>en<br />

S<strong>ch</strong>utz unterstellen, verlassen damit die Grundlage <strong>der</strong> Vorteilskalkulation 98 .<br />

94 Dazu unten S. 309 ff. (Grundzüge einer Diskurstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

95 Dazu oben S. 176 ff. (<strong>Theorien</strong> zum Ni<strong>ch</strong>teinigungspunkt; nonagreement basepoint).<br />

96 Zu dieser Konsequenz siehe oben S. 178 ff. (Bu<strong>ch</strong>anan: Drohspiel als Sozialvertrag).<br />

97 Das Fehlen eines normativen S<strong>ch</strong>utzes zeigt si<strong>ch</strong> bereits im Re<strong>ch</strong>tsbegriff bei Hobbes, <strong>der</strong> zwar von<br />

'natürli<strong>ch</strong>en Re<strong>ch</strong>ten' (rights of nature) spri<strong>ch</strong>t, dabei aber ni<strong>ch</strong>t Ansprü<strong>ch</strong>e gegen an<strong>der</strong>e meint, al-<br />

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