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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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diziert ist 124 . Bei Vertragstheorien führt die Natur- o<strong>der</strong> Urzustandskonstruktion in<br />

aller Regel zu einer Zirkularität <strong>der</strong> Begründung 125 . Eindrückli<strong>ch</strong> illustriert wird diese<br />

Beliebigkeit dur<strong>ch</strong> die auffällige Differenz zwis<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> als gere<strong>ch</strong>t erkannten egalitären<br />

Sozialordnung bei Rawls und dem libertären Minimalstaat bei Nozick. Der<br />

Verglei<strong>ch</strong> zeigt, wie weit die Ergebnisse von Sozialvertragstheorien auseinan<strong>der</strong>fallen<br />

können. Eine sol<strong>ch</strong>e Ergebnisdifferenz folgt ni<strong>ch</strong>t allein daraus, daß Rawls eine<br />

kantis<strong>ch</strong>e und Nozick eine hobbesianis<strong>ch</strong>e Theorie begründet. Au<strong>ch</strong> innerhalb <strong>der</strong><br />

kantis<strong>ch</strong>en Tradition gibt es erhebli<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>iede je na<strong>ch</strong> Ausgestaltung <strong>der</strong> kontraktuellen<br />

Ausgangsposition 126 . Als grundlegende Kritik kann deshalb festgestellt<br />

werden: Das Modell des Sozialvertrags bietet allein keine überzeugende Grundlage<br />

für die Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>.<br />

3. Zur Kritik an J. Rawls politis<strong>ch</strong>em Liberalismus<br />

Die neuere Liberalismustheorie von Rawls wendet si<strong>ch</strong> weitgehend von dem älteren<br />

Modell ab. Ni<strong>ch</strong>t die Deduktion eines sozialen Ideals aus einem hypothetis<strong>ch</strong>en Sozialvertrag,<br />

son<strong>der</strong>n die Mögli<strong>ch</strong>keit und Notwendigkeit einer freistehenden Konzeption<br />

<strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, getragen von einem übergreifenden Konsens in <strong>der</strong> realen<br />

Welt, wird zum Ziel <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegründung. Darin liegt zwar no<strong>ch</strong> keine<br />

Synthese von Kommunitarismus und Liberalismus 127 , do<strong>ch</strong> eine deutli<strong>ch</strong>e Abwendung<br />

von dem ursprüngli<strong>ch</strong>en Sozialvertragsmodell <strong>der</strong> Begründung von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snormen<br />

128 . Die neue methodis<strong>ch</strong>e Einbettung <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie führt<br />

dazu, daß die ursprüngli<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien (N 1 N 2<br />

129), selbst na<strong>ch</strong> ihrer<br />

inhaltli<strong>ch</strong>en Än<strong>der</strong>ung dur<strong>ch</strong> Rawls (N 1 ' N 2 ' 130 ), kaum no<strong>ch</strong> als realistis<strong>ch</strong>es Ergebnis<br />

<strong>der</strong> Theorie angesehen werden können. Die kritis<strong>ch</strong>e Rezeption <strong>der</strong> Theorie hat si<strong>ch</strong><br />

deshalb verlagert. Sie konzentriert si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t länger auf das problematis<strong>ch</strong>e Differenzprinzip,<br />

das ohnehin kein realistis<strong>ch</strong>er Kandidat für einen übergreifenden Konsens<br />

sein kann 131 , son<strong>der</strong>n fragt, ob es überhaupt mögli<strong>ch</strong> und notwendig ist, einen<br />

sol<strong>ch</strong>en übergreifenden Konsens herzustellen, also eine Konzeption <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>,<br />

die 'freistehend' in dem Sinne ist, daß sie aus <strong>der</strong> Perspektive unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>-<br />

124 P. Ricœur, Soi-même comme un autre (1990), S. 274: »Ma thèse est que cette conception fournit au<br />

mieux la formalisation d'un sens de la justice qui ne cesse d'être présupposé.« R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t<br />

und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 117 kennzei<strong>ch</strong>net diese Zirkularität als das Hauptproblem aller Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien.<br />

125 P. Pre<strong>ch</strong>tl, <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und Individualität (1990), S. 176 f. m.w.N. Zur Zirkularität speziell in<br />

Rawls' Theorie etwa M. Köhler, Iustitia distributiva (1993), S. 474. P. S<strong>ch</strong>nepel, Liberalismus als<br />

Theorie <strong>der</strong> amerikanis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft (1995), S. 156 verortet die Zirkularität, die in <strong>der</strong> älteren<br />

Theorie bei <strong>der</strong> Gestaltung des Urzustands lag, außerdem in <strong>der</strong> neueren Theorie bei <strong>der</strong> Idee eines<br />

übergreifenden Konsenses.<br />

126 Vgl. etwa oben S. 211 ff. (Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Unabweisbarkeit; Scanlon).<br />

127 So aber P. S<strong>ch</strong>nepel, Liberalismus als Theorie <strong>der</strong> amerikanis<strong>ch</strong>en Gesells<strong>ch</strong>aft (1995), S. 156.<br />

128 Zur grundlegenden Bedeutung des Methodenwe<strong>ch</strong>sels bereits oben S. 199 ff. (Theorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

als Fairneß).<br />

129 Dazu oben S. 203 (Zwei Prinzipien <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>).<br />

130 Dazu oben S. 209 (Neue <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sprinzipien).<br />

131 Bezei<strong>ch</strong>nen<strong>der</strong>weise hält Rawls das Differenzprinzip selbst ni<strong>ch</strong>t für geeignet, auf die Verteilungsfragen<br />

innerhalb <strong>der</strong> Völkergemeins<strong>ch</strong>aft ausgedehnt zu werden; J. Rawls, Das Völkerre<strong>ch</strong>t (1993),<br />

S. 87.<br />

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