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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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auszubauen 459 . <strong>Theorien</strong> rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens sind also deshalb prozedural, weil<br />

sie den S<strong>ch</strong>werpunkt ihrer Argumentation darauf legen, was in einem Verfahren rationaler<br />

Abwägung für den Einzelnen na<strong>ch</strong> seinen Interessen optimal ist. Diskurstheorien<br />

sind prozedural, weil sie dana<strong>ch</strong> fragen, was im Verfahren des Diskurses als<br />

Ergebnis erzeugt werden könnte. Anthropologis<strong>ch</strong>e Naturre<strong>ch</strong>tslehren sind hingegen<br />

material, weil sie vor allem auf Bedürfnisse des Mens<strong>ch</strong>en abstellen, ohne daß es<br />

wesentli<strong>ch</strong> auf die Verfahren ankäme, mit denen sol<strong>ch</strong>e Bedürfnisse befriedigt werden<br />

460 . Die Abgrenzung na<strong>ch</strong> dem S<strong>ch</strong>werpunkt <strong>der</strong> Begründung führt dazu, daß<br />

eine im Grunde gere<strong>ch</strong>tigkeitsskeptis<strong>ch</strong>e positivistis<strong>ch</strong>e Re<strong>ch</strong>tstheorie wie diejenige<br />

H.L.A. Harts wegen des Fehlens je<strong>der</strong> Verfahrensüberlegung allein dur<strong>ch</strong> die Annahme<br />

eines Minimalgehalts des Naturre<strong>ch</strong>ts (minimum content of natural law) 461 als<br />

materiale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie anzusehen ist.<br />

V. Das Vertragsmodell und das Geri<strong>ch</strong>tsmodell (R. Dreier)<br />

Ralf Dreier vertritt die These, daß si<strong>ch</strong> alle Verfahren, die in prozeduralen <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien<br />

vorges<strong>ch</strong>lagen werden, letztli<strong>ch</strong> auf zwei Grundmodelle und <strong>der</strong>en<br />

Kombination zurückführen lassen: auf das Vertragsmodell und das Geri<strong>ch</strong>tsmodell<br />

462 . Das Vertragsmodell beruhe dabei auf <strong>der</strong> Vorstellung, daß das einem jeden<br />

Zustehende (suum cuique) dur<strong>ch</strong> Übereinkunft aller, die es angeht, festzulegen sei.<br />

Das Geri<strong>ch</strong>tsmodell verlange demgegenüber, daß im Streitfall eine neutrale, beson<strong>der</strong>s<br />

qualifizierte Instanz zu ents<strong>ch</strong>eiden habe. Aus dem Bedingungs- und Regelbestand<br />

dieser beiden Grundmodelle sollen si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Dreier alle an<strong>der</strong>en Verfahrensmodelle,<br />

etwa das Gesetzgebungsmodell o<strong>der</strong> das Modell wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Wahrheitsfindung,<br />

zusammensetzen lassen 463 .<br />

Das mag stimmen, do<strong>ch</strong> genügt die Unters<strong>ch</strong>eidung ni<strong>ch</strong>t als Analysemittel, weil<br />

si<strong>ch</strong> die Verfahren jeweils auf ganz unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Weise aus diesen 'Grundmodel-<br />

459 Vgl. C.K. Kaufman, The Nature of Justice (1980), S. 223 – im Konflikt zwis<strong>ch</strong>en substantiellen und<br />

prozeduralen Kriterien gebührt den prozeduralen <strong>der</strong> Vorrang.<br />

460 Als eine sol<strong>ch</strong>e Theorie kann beispielsweise die objektivistis<strong>ch</strong>e Werttheorie (self-evident basic values)<br />

von Finnis angesehen werden; vgl. oben S. 89 (Naturre<strong>ch</strong>ts- und Vernunftre<strong>ch</strong>tstheorien).<br />

Ebenfalls materiale <strong>Theorien</strong> sind diejenigen, die ganz ohne Verfahrensüberlegungen unmittelbar<br />

na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Re<strong>ch</strong>tfertigung moralis<strong>ch</strong>er Regeln fragen, etwa wie bei B. Gert, Die moralis<strong>ch</strong>en Regeln<br />

(1966), S. 116 ff.<br />

461 H.L.A. Hart, Concept of Law (1961), S. 189 ff.: Die Tatsa<strong>ch</strong>en <strong>der</strong> Verletzli<strong>ch</strong>keit des Mens<strong>ch</strong>en<br />

(human vulnerability), <strong>der</strong> Bedürftigkeit trotz begrenzter Resourcen (limited resources) und <strong>der</strong> bloß<br />

begrenzten Uneigennützigkeit (limited altruism) führe notwendig zu integritätss<strong>ch</strong>ützenden Geboten<br />

<strong>der</strong> Unterlassung; die <strong>der</strong> näherungsweisen Glei<strong>ch</strong>heit (approximate equality) führe notwendig<br />

zur Re<strong>ch</strong>tspfli<strong>ch</strong>tigkeit aller; die des begrenzten Verständnisses und <strong>der</strong> begrenzten Willensstärke<br />

(limited un<strong>der</strong>standing and strength of will) führe notwendig zur Gehorsamserzwingung dur<strong>ch</strong><br />

Sanktionen. Vgl. dazu Harts These, daß – wenn überhaupt – ein Naturre<strong>ch</strong>t darin bestünde, allen<br />

Mens<strong>ch</strong>en ein glei<strong>ch</strong>es Re<strong>ch</strong>t auf Freiheit zuzuweisen: H.L.A. Hart, Are There Any Natural Rights?<br />

(1955), S. 77 ff. Eine verwandte, aber do<strong>ch</strong> an<strong>der</strong>e, s<strong>ch</strong>utzre<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Bedeutung verbindet si<strong>ch</strong> dagegen<br />

mit <strong>der</strong> These Jellineks vom 'ethis<strong>ch</strong>en Minimum'; dazu oben S. 30, Fn. 14.<br />

462 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 112 ff.<br />

463 R. Dreier, Re<strong>ch</strong>t und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1991), S. 112 f.<br />

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