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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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nen ihre Argumente in einem realen Diskurs selbst vortragen zu lassen, etwa dur<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>riftsätzli<strong>ch</strong>e Stellungnahmen o<strong>der</strong> in einer mündli<strong>ch</strong>en Verhandlung. Ob es si<strong>ch</strong><br />

dann beim Geri<strong>ch</strong>tsverfahren no<strong>ch</strong> um einen Diskurs handelt (Son<strong>der</strong>fallthese), o<strong>der</strong><br />

ob die Erfolgsorientierung des Parteihandelns und die re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Rahmenbedingungen<br />

für zulässige Argumentation ni<strong>ch</strong>t bereits so viele diskursfremde Bes<strong>ch</strong>ränkungen<br />

einführen, daß <strong>der</strong> Diskursberei<strong>ch</strong> verlassen ist, soll hier zunä<strong>ch</strong>st dahingestellt<br />

bleiben 465 . Na<strong>ch</strong> <strong>der</strong> weiten Definition in D Dr liegt jedenfalls dann ein realer<br />

praktis<strong>ch</strong>er Diskurs vor, wenn si<strong>ch</strong> die Argumentation 'so weit, wie es na<strong>ch</strong> den Umständen<br />

angemessen ist,' an den idealen Diskurs anlehnt und jedenfalls Gewalt und<br />

Drohung auss<strong>ch</strong>ließt.<br />

cc) Der handlungsentlastete Diskurs<br />

Eine Situation, die unstreitig einen realen praktis<strong>ch</strong>en Diskurs darstellt – gewissermaßen<br />

<strong>der</strong> Prototyp des realen praktis<strong>ch</strong>en Diskurses – ist die Diskussion unter<br />

Freunden über eine Frage <strong>der</strong> Moral, <strong>der</strong>en Ents<strong>ch</strong>eidung we<strong>der</strong> zeitli<strong>ch</strong> drängt no<strong>ch</strong><br />

pragmatis<strong>ch</strong> für die Beteiligten wi<strong>ch</strong>tig ist 466 . Eine sol<strong>ch</strong>e Diskussionssituation ist<br />

gemeint, wenn im folgenden ohne nähere Bestimmung von realen Diskursen die Rede<br />

ist. Man kann bei diesem Prototyp des realen Diskurses au<strong>ch</strong> von einem handlungsentlasteten<br />

Diskurs spre<strong>ch</strong>en.<br />

dd) Der reale Diskurs als diskursive Kontrolle<br />

Die ideale Voraussetzung, die bei realen Diskursen niemals vollständig verwirkli<strong>ch</strong>t<br />

werden kann, ist die Unendli<strong>ch</strong>keit des Diskurses ('unter den Bedingungen unbegrenzter<br />

Zeit') 467 . Im idealen Diskurs argumentieren die Teilnehmenden selbst dann<br />

weiter, wenn sie bereits einen Konsens erzielt haben, denn es ist nie ausges<strong>ch</strong>lossen,<br />

daß neue Argumente entdeckt werden, die den Konsens zusätzli<strong>ch</strong> stützen o<strong>der</strong> ihn<br />

beseitigen. Will man diese Unendli<strong>ch</strong>keit so weit wie mögli<strong>ch</strong> real verwirkli<strong>ch</strong>en, so<br />

muß man sie als eine potentielle Unendli<strong>ch</strong>keit des Diskurses verstehen. Es muß je<strong>der</strong>zeit<br />

mögli<strong>ch</strong> sein, daß die Teilnehmer, die zunä<strong>ch</strong>st den Diskurs mit einem Konsens<br />

beenden, ihn beim Auffinden neuer Argumente wie<strong>der</strong> aufnehmen. Potentielle<br />

Unendli<strong>ch</strong>keit bedeutet also beim realen Diskurs, daß die Ents<strong>ch</strong>eidung je<strong>der</strong>zeit diskursiv<br />

kontrolliert bleibt. Bei einem so weit wie mögli<strong>ch</strong> idealisierten Diskurs ist ein<br />

Konsens darum nie endgültig o<strong>der</strong> definitiv.<br />

Sol<strong>ch</strong>e Diskurse sind indes nur selten mögli<strong>ch</strong>. Meist wird es darum gehen, innerhalb<br />

angemessener Zeit eine Ents<strong>ch</strong>eidung zu errei<strong>ch</strong>en, die entwe<strong>der</strong> dur<strong>ch</strong> Ab-<br />

465 Zur Son<strong>der</strong>fallthese, d.h. zu <strong>der</strong> These, daß juristis<strong>ch</strong>e Diskurse ein Son<strong>der</strong>fall des allgemeinen<br />

praktis<strong>ch</strong>en Diskurses sind, ausführli<strong>ch</strong> R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1991),<br />

S. 426 ff. m.w.N.; dazu unten S. 255 (Begründung von Re<strong>ch</strong>tsnormen).<br />

466 Die Diskussion unter Freunden ist ein besseres Beispiel als die Diskussion unter 'Fa<strong>ch</strong>leuten', also<br />

insbeson<strong>der</strong>e unter Moralphilosophen, weil letztere unter Umständen ein fa<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es Interesse am<br />

Ausgang haben, es für sie also pragmatis<strong>ch</strong> wi<strong>ch</strong>tig sein könnte, ob sie si<strong>ch</strong> persönli<strong>ch</strong> mit ihrer<br />

Ansi<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong>setzen können. Vgl. aber K.-O. Apel, Diskursethik vor <strong>der</strong> Problematik von Re<strong>ch</strong>t<br />

und Politik (1992), S. 45, <strong>der</strong> als Beispiel den Fa<strong>ch</strong>kongreß unter Philosophen vors<strong>ch</strong>lägt.<br />

467 J.P. Müller, Demokratis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1993), S. 148 f.<br />

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