Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
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aber keinen Ausweg aus dem damit umrissenen ents<strong>ch</strong>eidungstheoretis<strong>ch</strong>en Dilemma.<br />
Mit dem ges<strong>ch</strong>il<strong>der</strong>ten Begründungsmangel erfüllt Gauthiers Theorie ni<strong>ch</strong>t die<br />
Voraussetzungen, die na<strong>ch</strong> D 4RC <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien des rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens<br />
kennzei<strong>ch</strong>nen. Denn na<strong>ch</strong> diesen ist eine <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>snorm N genau dann (d.h.<br />
'dann und nur dann') ri<strong>ch</strong>tig, wenn sie das Ergebnis <strong>der</strong> Prozedur des rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens<br />
sein kann. In Gauthiers Theorie ist aber eine Handlungsweise ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on<br />
dadur<strong>ch</strong> rational, daß sie dem prozeduralen Kriterium <strong>der</strong> minimax relativen Konzession<br />
genügt, son<strong>der</strong>n sie muß außerdem die Lockes<strong>ch</strong>e Provisio und die mit ihr<br />
verbundenen vorpositiven Re<strong>ch</strong>te eins<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> <strong>der</strong> 'vollständigen Kooperation' (Kosteninternalisierung)<br />
an<strong>der</strong>er a<strong>ch</strong>ten. An<strong>der</strong>s als bei Nozick bleibt die Lockes<strong>ch</strong>e Provisio<br />
hier also ni<strong>ch</strong>t funktionslos. Geht es darum, ob jemand die Umwelt vers<strong>ch</strong>mutzen<br />
darf, so entwickeln die Re<strong>ch</strong>te an<strong>der</strong>er – entwe<strong>der</strong> als direkte Eigentumsre<strong>ch</strong>te<br />
(Vers<strong>ch</strong>mutzung eines Grundstücks) o<strong>der</strong> über das Gebot vollständiger Kooperation<br />
(Vers<strong>ch</strong>mutzung eines öffentli<strong>ch</strong>en Gewässers) – eine Sperrwirkung innerhalb des Rationalitätskalküls<br />
<strong>der</strong> minimax relativen Konzession 324 . Im Ergebnis fehlt <strong>der</strong> Theorie<br />
Gauthiers darum das Element <strong>der</strong> vollständig rationalen Begründung, das die<br />
Qualifikation als Ents<strong>ch</strong>eidungstheorie <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> ausma<strong>ch</strong>t 325 . Sie ist zwar<br />
eine Theorie rationalen Ents<strong>ch</strong>eidens, aber keine sol<strong>ch</strong>e, die allein mit rationaler Ents<strong>ch</strong>eidung<br />
die Frage na<strong>ch</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> beantwortet.<br />
4. Theorie des transzendentalen Taus<strong>ch</strong>es (O. Höffe)<br />
Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie Höffes folgt in ihrer Vernunftkonzeption dem Beispiel Hobbes,<br />
indem sie praktis<strong>ch</strong>e Ri<strong>ch</strong>tigkeit mit <strong>der</strong> Vorteilhaftigkeit für jeden einzelnen<br />
identifiziert. Sie geht dabei den neuen Weg, das Modell des Taus<strong>ch</strong>es als Darstellungsmittel<br />
zu nutzen.<br />
a) Natürli<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />
Im ersten Teil seiner <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorie geht Höffe <strong>der</strong> Frage na<strong>ch</strong>, was als natürli<strong>ch</strong>e<br />
<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> Bestand hat – als <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, die vor je<strong>der</strong> institutionalisierten Sozialordnung<br />
geda<strong>ch</strong>t werden muß, also vorpositiv 326 . Dabei bezei<strong>ch</strong>net er als primären<br />
Naturzustand die latent kriegeris<strong>ch</strong>e Herrs<strong>ch</strong>aft, die dur<strong>ch</strong> das Zusammenleben<br />
vers<strong>ch</strong>iedener Mens<strong>ch</strong>en in einer Welt zwangsläufig entstehen müßte, also einen<br />
hobbesianis<strong>ch</strong>en Naturzustand. Der Übergang zu einem für jeden einzelnen vorteilhaften<br />
sekundären Naturzustand stellt si<strong>ch</strong> als negativer Taus<strong>ch</strong> dar. Je<strong>der</strong> verzi<strong>ch</strong>tet<br />
gegenüber allen an<strong>der</strong>en auf eine Gesamtheit von Tötungs- und Verletzungshandlungen.<br />
Resultat des Freiheitsverzi<strong>ch</strong>ts ist <strong>der</strong> Vorteil einer Integrität von Leib, Leben,<br />
Eigentum, Ehre und Religion.<br />
324 Vgl. zum Beispiel <strong>der</strong> Sperrwirkung bei Vers<strong>ch</strong>mutzung eines öffentli<strong>ch</strong>en Gewässers D. Gauthier,<br />
Morals by Agreement (1986), S. 225: »The particular interaction [dumping wastes in the river]<br />
cannot be defended by relating it to a practice that satisfies minimax relative concession.«<br />
325 Ähnli<strong>ch</strong> die Kritik bei R. Alexy, Eine diskurstheoretis<strong>ch</strong>e Konzeption <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Vernunft<br />
(1993), S. 13 f. mit Fn. 19.<br />
326 Hierzu und zum folgenden O. Höffe, Politis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1987), S. 382 ff. Kritis<strong>ch</strong>e Analysen<br />
zu Höffes Theorie vor allem in den Beiträgen von M. Kettner, P. Koller u.a. in W. Kersting (Hrsg.),<br />
<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> als Taus<strong>ch</strong>? (1997).<br />
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