Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
elemente, die si<strong>ch</strong> in je<strong>der</strong> Diskurstheorie in ähnli<strong>ch</strong>er Form aufzeigen lassen und die<br />
selbst von Gegnern des diskurstheoretis<strong>ch</strong>en Ansatzes ni<strong>ch</strong>t bestritten werden – etwa<br />
die Unters<strong>ch</strong>eidung zwis<strong>ch</strong>en idealen und realen Diskursen und die Bezugnahme<br />
auf Diskursregeln 456 . Im Interesse einer übers<strong>ch</strong>aubar kurzen Darstellung soll darum<br />
zunä<strong>ch</strong>st von den Unters<strong>ch</strong>ieden im Detail abgesehen werden, um allgemeine<br />
Grundlagen <strong>der</strong> Diskurstheorien zu bes<strong>ch</strong>reiben. Dabei wird auf die Diskursregeln<br />
zurückgegriffen, die Alexy formuliert hat 457 .<br />
a) Die Diskursarten<br />
aa) Die Definitionen des Diskurses (D Di D Dr )<br />
Der inflationäre Gebrau<strong>ch</strong>, den das Wort 'Diskurs' in <strong>der</strong> Umgangsspra<strong>ch</strong>e und man<strong>ch</strong>er<br />
Fa<strong>ch</strong>spra<strong>ch</strong>e in jüngerer Zeit erfährt, ma<strong>ch</strong>t zunä<strong>ch</strong>st eine Klarstellung nötig:<br />
Diskurs im Sinne <strong>der</strong> Diskurstheorie ist ni<strong>ch</strong>t jede Unterhaltung o<strong>der</strong> jedes Zwiegesprä<strong>ch</strong>.<br />
Wer si<strong>ch</strong> mit einem Verkäufer über den Preis unterhält, führt ni<strong>ch</strong>t etwa einen<br />
'wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Diskurs', son<strong>der</strong>n eine Verhandlung; wer gemeinsam mit an<strong>der</strong>en<br />
zu Gott betet, befindet si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in einem 'religiösen Diskurs', son<strong>der</strong>n bemüht<br />
si<strong>ch</strong> um ein Zwiegesprä<strong>ch</strong> (Dialog); und wer an einer bewaffneten Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
teilnimmt, ist ni<strong>ch</strong>t in einem 'militäris<strong>ch</strong>en Diskurs', son<strong>der</strong>n im Krieg. Eine<br />
Diskussion, verstanden als themenorientierte Unterhaltung, verliert den Charakter<br />
eines Diskurses spätestens dann, wenn die Diskussionsteilnehmer ihre Standpunkte<br />
mit Gewalt o<strong>der</strong> Drohung untermauern 458 . Diskurs im Sinne <strong>der</strong> Diskurstheorie ist<br />
nur ein bestimmtes Ideal <strong>der</strong> Verständigung (idealer Diskurs) und die na<strong>ch</strong> den Umständen<br />
angemessene Annäherung an dieses Ideal (realer Diskurs).<br />
Diskurstheorien sind Argumentationstheorien und dadur<strong>ch</strong> von Verhandlungsund<br />
Ents<strong>ch</strong>eidungstheorien abzugrenzen. Für den Diskurs ist es deshalb <strong>ch</strong>arakteristis<strong>ch</strong>,<br />
daß die Teilnehmer um das beste Argument ringen (Verständigungsorientierung,<br />
arguing), ni<strong>ch</strong>t um den besten Weg zur Dur<strong>ch</strong>setzung <strong>der</strong> je eigenen Interessen<br />
(Erfolgsorientierung, bargaining) 459 . Es gibt theoretis<strong>ch</strong>e Diskurse über empiris<strong>ch</strong>e<br />
Wahrheit und praktis<strong>ch</strong>e Diskurse über die Ri<strong>ch</strong>tigkeit des Handelns. Hier geht<br />
es allein um <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sdiskurse, also um eine beson<strong>der</strong>e Gruppe unter den praktis<strong>ch</strong>en<br />
Diskursen. Innerhalb <strong>der</strong> praktis<strong>ch</strong>en Diskurse ist, wie überhaupt immer bei<br />
(1993), S. 273 ff.; P. Gril, Alexys Version einer transzendentalpragmatis<strong>ch</strong>en Begründung <strong>der</strong> Diskursregeln<br />
im Unters<strong>ch</strong>ied zu Habermas (1997), S. 206 ff.; <strong>der</strong>s., Mögli<strong>ch</strong>keit praktis<strong>ch</strong>er Erkenntnis<br />
(1998), S. 130 f.; R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 161 ff. – Abgrenzung<br />
von <strong>der</strong> Habermass<strong>ch</strong>en Theorie.<br />
456 Vgl. etwa A. Kaufmann, <strong>Prozedurale</strong> <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1989), S. 17: »Chancenglei<strong>ch</strong>heit<br />
für alle Diskursteilnehmer, Redefreiheit, keine Privilegierung, Wahrhaftigkeit, Freiheit von<br />
Zwang. In <strong>der</strong> Tat dürften hierin die wesentli<strong>ch</strong>en formalen Bedingungen eines rationalen Diskurses<br />
liegen.«<br />
457 Dazu R. Alexy, Theorie <strong>der</strong> juristis<strong>ch</strong>en Argumentation (1978), S. 234 ff.<br />
458 W. Reese-S<strong>ch</strong>äfer, Das Begründungsprogramm Diskursethik (1990), S. 16: »Die Voraussetzung <strong>der</strong><br />
Diskurse ist, an<strong>der</strong>s als beim Überlebenskampf, die Anerkennung des an<strong>der</strong>en; zumindest also<br />
seines Lebensre<strong>ch</strong>ts, und die Bereits<strong>ch</strong>aft, Dissens gewaltfrei zu klären.«<br />
459 Dazu unten S. 232 (<strong>ch</strong>arakteristis<strong>ch</strong>er Gegensatz von Argumentation und Verhandlung).<br />
218