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Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit - servat.unibe.ch

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e<strong>ch</strong>tigkeit im engeren Sinn von an<strong>der</strong>en Kriterien, etwa <strong>der</strong> Nützli<strong>ch</strong>keit, abzugrenzen<br />

112 . Zweitens gibt er das Verhältnis zwis<strong>ch</strong>en Ri<strong>ch</strong>tigkeit und <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>, wie es<br />

na<strong>ch</strong> normalem Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong> gilt, ni<strong>ch</strong>t zutreffend wie<strong>der</strong>; denn dieser Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong><br />

läßt es ni<strong>ch</strong>t zu, eine Handlung glei<strong>ch</strong>zeitig als ungere<strong>ch</strong>t und als ri<strong>ch</strong>tig zu<br />

bezei<strong>ch</strong>nen. Vor allem aber gilt drittens, daß si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> enge Begriff ni<strong>ch</strong>t für die Untersu<strong>ch</strong>ung<br />

von <strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> eignet, weil diese die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> umfassend,<br />

also unter Berücksi<strong>ch</strong>tigung aller relevanten Faktoren begründen wollen. Die<br />

<strong>Theorien</strong> <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> können deshalb gerade ni<strong>ch</strong>t einen verengten, von an<strong>der</strong>en<br />

Faktoren isolierten Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> zur Grundlage nehmen. Denn für<br />

<strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien ist ni<strong>ch</strong>ts gewonnen, wenn beispielsweise die Sippenhaft (d.h.<br />

die Geiselnahme von Angehörigen zur Strafverfolgung o<strong>der</strong> die Verhängung von<br />

Kollektivstrafen) si<strong>ch</strong> als ungere<strong>ch</strong>t für die Betroffenen aber glei<strong>ch</strong>wohl effektiv zur<br />

Dur<strong>ch</strong>setzung staatli<strong>ch</strong>er Strafsanktionen erweist 113 . Die eigentli<strong>ch</strong>e Frage, ob si<strong>ch</strong> in<br />

einer Gesamtbetra<strong>ch</strong>tung <strong>der</strong> Umstände das Mittel <strong>der</strong> Sippenhaft re<strong>ch</strong>tfertigen läßt,<br />

ist damit no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t einmal gestellt. Ähnli<strong>ch</strong>es gilt für eine Vielzahl an<strong>der</strong>er Fälle:<br />

Der Gläubiger, dessen For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Verjährung unterfällt, das Verbre<strong>ch</strong>ensopfer,<br />

das wegen Verfolgungsverjährung auf die Genugtuung staatli<strong>ch</strong>er Vergeltung verzi<strong>ch</strong>ten<br />

muß, die Vertragspartei, die si<strong>ch</strong> wegen eines Formfehlers ni<strong>ch</strong>t auf eine Vereinbarung<br />

berufen kann – sie alle müßten na<strong>ch</strong> dem engen, juristis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff<br />

als Opfer staatli<strong>ch</strong>er Ungere<strong>ch</strong>tigkeit angesehen werden. In <strong>der</strong> Perspektive<br />

von <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>stheorien wird demgegenüber untersu<strong>ch</strong>t, ob eine (re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e)<br />

Regelung insgesamt ungere<strong>ch</strong>t ist. Dazu aber ist, wie hier mit D 1 , ein weiter <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff<br />

zugrundezulegen, in dem au<strong>ch</strong> die Kriterien <strong>der</strong> Zweckmäßigkeit und<br />

Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit aufgehen 114 .<br />

3. Der idealistis<strong>ch</strong>e <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff<br />

Als 'idealistis<strong>ch</strong>e' o<strong>der</strong> 'tugendzentrierte' Begriffsbestimmungen kann man diejenigen<br />

Definitionen bezei<strong>ch</strong>nen, die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> unter Bezugnahme auf die Natur des<br />

Mens<strong>ch</strong>en bestimmen 115 – in ihrem juristis<strong>ch</strong>en Eins<strong>ch</strong>lag meist als ontologis<strong>ch</strong>e Naturre<strong>ch</strong>tslehren<br />

116 . Sol<strong>ch</strong>e <strong>Theorien</strong> verstehen den Begriff <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> in erster<br />

112 S. Huster, Re<strong>ch</strong>te und Ziele (1993), S. 209.<br />

113 Beispiel bei J.R. Lucas, Principles of Politics (1966), S. 240 f. Dort au<strong>ch</strong> die Aussage, daß exemplaris<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>arfe Strafen zur Generalprävention gere<strong>ch</strong>tfertigt sein können, wenn die staatli<strong>ch</strong>e Selbsterhaltung<br />

ohne sie in Frage gestellt wäre.<br />

114 Ähnli<strong>ch</strong> bereits M. Rümelin, Die <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (1920), S. 50: »[E]in höherer .... <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff,<br />

<strong>der</strong> das Gere<strong>ch</strong>te faßt als das, was dem Wesen des Re<strong>ch</strong>ts gemäß ist o<strong>der</strong> was dem ri<strong>ch</strong>tigen<br />

Re<strong>ch</strong>t entspri<strong>ch</strong>t. Dabei muß ausgegangen werden von den Zwecken <strong>der</strong> Gemeins<strong>ch</strong>aft selbst.<br />

Insofern vers<strong>ch</strong>windet <strong>der</strong> Gegensatz zwis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> und Zweckmäßigkeit.«. Auf den<br />

weiten <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong>sbegriff läßt si<strong>ch</strong> <strong>der</strong> Radbru<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>e Gedanke <strong>der</strong> Antinomien glei<strong>ch</strong>wohl übertragen:<br />

Innerhalb <strong>der</strong> <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> (im hier zugrundegelegten weiten Sinn) können Antinomien<br />

zwis<strong>ch</strong>en <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong> im engeren Sinn und <strong>der</strong> Zweckmäßigkeit bzw. Re<strong>ch</strong>tssi<strong>ch</strong>erheit bestehen.<br />

115 Vgl. insbeson<strong>der</strong>e Aristoteles, Nikoma<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Ethik, I 1 (1094a 2-3), <strong>der</strong> das Gute als das definiert,<br />

na<strong>ch</strong> dem alles strebt. Zum deuts<strong>ch</strong>en Idealismus vgl. H. Welzel, Naturre<strong>ch</strong>t und materiale <strong>Gere<strong>ch</strong>tigkeit</strong><br />

(1962), S. 175: »Hegels Re<strong>ch</strong>tsphilosophie ist, wenn man es re<strong>ch</strong>t versteht, die vollkommenste<br />

Gestalt einer materialen Naturre<strong>ch</strong>tslehre.«<br />

116 Dazu unten S. 89 (ontologis<strong>ch</strong>es und rationalistis<strong>ch</strong>es Naturre<strong>ch</strong>t).<br />

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